TթƒԹԶrkische MթƒԹ)nner.Das sind doch alles ramponierte Wesen.Der MթƒԹ)nnlichkeitskult ist eine GeiթƒժԴel der tթƒԹԶrkischen Gesellschaft. թƒժ“ber seine Verhee-rungen hat die Soziologin Pinar Selek ein Buch geschrieben – und musste das Land թƒԹԶber Nacht verlassen.

Von Karen KrթƒԹԶger

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10. September 2010թ‚Թ 

In die KթƒԹԶche hat Pinar Selek ein Poster mit einer Stadtansicht von Istanbul gehթƒԹ)ngt – թ§Չ‚-ժԷIch habe Heimwehթ§Չ‚-ժ“, sagt sie -, daneben kleben kleine Merkzettel mit deutschen Vokabeln an den SchrթƒԹ)nken: FrթƒԹԶhstթƒԹԶck – kahvalti, KթƒԹԶche – mutfak, Schere – makas. Die WթƒԹ)nde ihres Arbeitsraums bedecken Fotos von Freunden und Verwandten.

Pinar Selek stellt vor: Da ist ein Bild ihres Vaters, eines in der TթƒԹԶrkei bekannten linken Rechtsanwalts; da ist ihre Schwester, die nur deshalb Rechtswissenschaften studierte, damit sie der damals im GefթƒԹ)ngnis sitzenden Pinar juristisch beistehen kann; da ist ein Foto ihres engen Freundes Hrant Dink, des armenisch-tթƒԹԶrkischen Journalisten, der im Jahr 2007 in Istanbul auf offener StraթƒժԴe erschossen wurde.

In der TթƒԹԶrkei drohen ihr sechsunddreiթƒժԴig Jahre verschթƒԹ)rfter Einzelhaft: Pinar Selek

Der Mord war fթƒԹԶr Pinar Selek der Anlass fթƒԹԶr ein Buch, mit dem die Soziologin und Feministin den tթƒԹԶrkischen Staat an seinem empfindlichsten Punkt verwundete: dem Kult um MթƒԹ)nnlichkeit und dessen ewige Schule, das MilitթƒԹ)r. 390.000 Soldaten zթƒԹ)hlt das tթƒԹԶrkische Heer. Es ist die fթƒԹԶnftgrթƒԹԳթƒժԴte Armee der Welt. Unter dem Titel թ§Չ‚-ժԷZum Mann gehթƒԹ)tschelt, zum Mann gedrillt – MթƒԹ)nnliche IdentitթƒԹ)tenթ§Չ‚-ժ“ (Orlanda Buchverlag) liegt das Buch nun auch auf Deutsch vor.

թ§Չ‚-ժԷIm Fernsehen sah ich Hrants MթƒԹԳrder. Er blickte in die Kamera und versuchte seinem Gesicht einen harten Ausdruck zu verleihen. Er hob die Arme und brթƒԹԶllte: ,Sieh dich vor, und sei bloթƒժԴ vernթƒԹԶnftig!’թ§Չ‚-ժ“, sagt Pinar Selek. Sie kannte den jungen Mann nicht. Und doch war er ihr zutiefst vertraut: seine mթƒԹ)nnliche GebթƒԹ)rde, seine Worte, das drohend verzerrte Gesicht, sein durch MթƒԹ)nnlichkeit legitimierter Anspruch, sich mit Gewalt թƒԹԶber alles und jeden zu stellen. Diese MթƒԹ)nner trifft man zu Tausenden in der TթƒԹԶrkei. Sie begehen Ehrenmorde, թƒԹԶben Blutrache, sprechen gegenթƒԹԶber ihren TթƒԹԳchtern und SթƒԹԳhnen Kaskaden von Verboten aus. Sie schreiben ihren Freundinnen und Ehefrauen vor, wie sie sich zu benehmen und aufzutreten haben. Sie sind jederzeit bereit, sich zu schlagen und zu streiten. Pinar Selek wollte herausfinden, unter welchen UmstթƒԹ)nden diese MթƒԹ)nner wurden, wie sie sind.

Pinar Selek ist nicht freiwillig nach Deutschland gekommen. Sie kam als FlթƒԹԶchtende, nun ist sie eine թ§Չ‚-ժԷWriters in Exileթ§Չ‚-ժ“-Stipendiatin der deutschen Sektion des Schriftstellerverbandes PEN, sitzt auf dem Balkon der Berliner Wohnung, die man ihr zur VerfթƒԹԶgung gestellt hat, und rթƒԹԶhrt in ihrem schwarzen Tee. HթƒԹ)tte sich eine andere Autorin des Themas tթƒԹԶrkische MթƒԹ)nnlichkeit und MilitթƒԹ)r angenommen, dann hթƒԹ)tte die tթƒԹԶrkische Regierung wahrscheinlich mit Zensur reagiert oder versucht, das betreffende Verlagshaus mit juristischen Strafen in die Knie zu zwingen. Vielleicht hթƒԹ)tte man die Verfasserin auch wegen թ§Չ‚-ժԷDistanzierung des Volkes vom MilitթƒԹ)rթ§Չ‚-ժ“ angeklagt. Doch an die BթƒԹԶcher Pinar Seleks, die in der TթƒԹԶrkei eine Ikone der Demokratiebewegung ist und deren Frauenorganisation Amargi internationales Ansehen genieթƒժԴt, traut sich die Regierung nicht heran. Zudem ist das Buch, fթƒԹԶr das sie achtundfթƒԹԶnfzig Wehrdienstleistende interviewte, in der TթƒԹԶrkei ein durchschlagender Erfolg. Es wird dort in selbstorganisierten Studentenseminaren und bei groթƒժԴen Konferenzen diskutiert und geht gerade in die fթƒԹԶnfte Auflage.

Deshalb wթƒԹ)hlten die tթƒԹԶrkischen BehթƒԹԳrden einen anderen Weg, um Pinar Selek zum Schweigen zu bringen: Ende 2009 hat die neunte Strafkammer des Obersten Kassationsgerichts – jene Kammer, die auch die Verurteilung Hrant Dinks wegen թ§Չ‚-ժԷVerunglimpfung des TթƒԹԶrkentumsթ§Չ‚-ժ“ gebilligt hatte – in Ankara einen alten Fall wieder aufgerollt. Pinar Selek drohen sechsunddreiթƒժԴig Jahren verschթƒԹ)rfter Einzelhaft. Als dies bekannt wurde, verlieթƒժԴ die Autorin թƒԹԶber Nacht das Land. Ihre Schwester, die inzwischen RechtsanwթƒԹ)ltin ist, hat ihre Verteidigung թƒԹԶbernommen. Sie haben auch Klage vor dem EuropթƒԹ)ischen Gerichtshof fթƒԹԶr Menschenrechte in StraթƒժԴburg eingereicht.

Elektroschocks auf die Kopfhaut

Worum geht es in dem alten Fall? Die Geschichte begann Ende der neunziger Jahre. Damals befragte Pinar Selek fթƒԹԶr eine Studie in ganz Europa Mitglieder der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK թƒԹԶber deren VerhթƒԹ)ltnis zur Gewalt. Die Arbeit sollte als Buch erscheinen; die Namen ihrer Interviewpartner hatte Pinar Selek anonymisiert. NatթƒԹԶrlich interessierte sich die tթƒԹԶrkische Polizei fթƒԹԶr das Projekt. NatթƒԹԶrlich wollte sie die wahren IdentitթƒԹ)ten der PKK-Mitglieder wissen. NatթƒԹԶrlich gab Pinar Selek sie nicht preis. Die damals SiebenundzwanzigjթƒԹ)hrige wurde verhaftet und kam in Untersuchungshaft.

Pinar Selek springt auf und zeigt, wie man sie an die Mauer fesselte: die Arme nach hinten թƒԹԶber den RթƒԹԶcken gestreckt, so dass der RթƒԹԶcken nach vorne fթƒԹ)llt und irgendwann die Schultern auskugeln. թ§Չ‚-ժԷDas Schlimmste waren die Elektroschocks. Man gab sie mir auf die Kopfhautթ§Չ‚-ժ“, sagt sie. Ihre Zelle war ein Raum, den sie mit siebzig Frauen teilte. Nach einer Woche erfuhr sie aus dem Fernsehen, womit die Polizei ihre Festnahme begrթƒԹԶndete. Sie habe im Auftrag der PKK eine Bombe auf dem թƒԹ)gyptischen Basar in Istanbul gezթƒԹԶndet, hieթƒժԴ es in den landesweiten Abendnachrichten.

Zwischen MachtverheiթƒժԴung und Machtlosigkeit

TatsթƒԹ)chlich war es dort am 9. Juli 1998 zu einer Explosion gekommen, bei der sieben Menschen getթƒԹԳtet worden waren. Nach zweieinhalb Jahren kam das Gericht jedoch zu dem Schluss, dass keine Bombe, sondern eine defekte Gasflasche die Katastrophe ausgelթƒԹԳst hatte. Pinar Selek kam frei. Hunderte von Menschen, Politiker und Intellektuelle aller Couleur, Transsexuelle, Prostituierte und StraթƒժԴenkinder, denen sie zuvor ihr Engagement gewidmet hatte, nahmen sie vor dem GefթƒԹ)ngnistor in Empfang. Im Jahr 2006 endete das Verfahren mit einem Freispruch. Noch Jahre spթƒԹ)ter aber wurde sie am Telefon von anonymen Anrufern bedroht. թ§Չ‚-ժԷEs waren eigentlich immer MթƒԹ)nnerթ§Չ‚-ժ“, sagt Pinar Selek.

Vier Etappen, legt die Soziologin in ihrem Buch dar, mթƒԹԶssen MթƒԹ)nner in der TթƒԹԶrkei թƒԹԶberwinden, um zum Mann zu werden: Beschneidung, Wehrdienst, Beruf und schlieթƒժԴlich die EheschlieթƒժԴung als Endstation. Der MilitթƒԹ)rdienst ist dabei eine Erfahrung von MaթƒժԴregelung, Erduldung und Gewalt. Das erlebte Hin und Her zwischen MachtverheiթƒժԴung und Machtlosigkeit verwandele die Rekruten in schizophrene Wesen, die zwar zerbrechlich sind, թ§Չ‚-ժԷaber diese Zerbrechlichkeit mit verschiedenen Mauern, Masken und Machtdemonstrationen zu verheimlichenթ§Չ‚-ժ“ suchen. թ§Չ‚-ժԷMan ergibt sichթ§Չ‚-ժ“ – so wird der Eintritt in die Armee im TթƒԹԶrkischen wթƒԹԳrtlich genannt. Glaubt man Selek, dann erholen sich die MթƒԹ)nner auch nach Ende des Wehrdienstes nicht mehr von dieser Erfahrung. Der tթƒԹԶrkische Mann verlasse die Kaserne als թ§Չ‚-ժԷramponiertes Wesenթ§Չ‚-ժ“, das das Erlebte in die Gesellschaft trթƒԹ)gt. Mit dem von ihm beanspruchten Recht, als Familienvater seine Kinder zu schlagen und zu lieben, wird letztlich nur imitiert, was der թƒժ“bervater Staat ihm vorgelebt hat.

GeschlechterverhթƒԹ)ltnis wie in der TթƒԹԶrkei der fթƒԹԶnfziger Jahre

Pinar Selek seziert, was um sie herum geschieht, besonders das VerhթƒԹ)ltnis der Geschlechter. Wie nimmt sie die TթƒԹԶrken in Deutschland wahr? Die Soziologin թƒԹԶberlegt einen Moment: թ§Չ‚-ժԷViele TթƒԹԶrken, die hier leben, zelebrieren ein GeschlechterverhթƒԹ)ltnis, das in der TթƒԹԶrkei in den fթƒԹԶnfziger Jahren herrschte. Ganz so, als habe man sie vor ihrer Abreise in eine KթƒԹԶhltruhe gesteckt, in der trotz des anderen Raumklimas ein bestimmter Wertekanon unbeschadet թƒԹԶberstehen konnte.թ§Չ‚-ժ“

Eine Antwort darauf, ob hier zu beobachtende patriarchale Muster ebenfalls auf die unter UmstթƒԹ)nden vor Generationen erfahrene Sozialisation wթƒԹ)hrend des tթƒԹԶrkischen Wehrdiensts zurթƒԹԶckzufթƒԹԶhren sind, ob DeutschtթƒԹԶrken diese Muster aus tթƒԹԶrkischen Kasernen mit nach Deutschland bringen, auch wenn viele von ihnen nur einen verkթƒԹԶrzten Wehrdienst leisten, mթƒԹԳchte Pinar Selek nicht geben. Dazu brauche es eine richtige Studie. Aber vorstellbar, sagt sie, sei das schon.

Text: F.A.Z.
Bildmaterial: Julia Zimmermann

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