In der TթԹԶrkei werden Intellektuelle inhaftiert, die sich թԹԳffentlich mit dem VթԹԳlkermord an den Armeniern befassen. Derweil heben Wissenschaftler kaum erforschte Kapitel des Genozids.
ie hթԹ)tten sich treffen kթԹԳnnen in Deutschland, der tթԹԶrkische Verleger Ragip Zarakolu und sein MinisterprթԹ)sident Recep Erdogan. Beide waren eingeladen, wenn auch zu absolut unterschiedlichen Veranstaltungen. Doch der hochangesehene Intellektuelle aus Istanbul, dessen BթԹԶcher Erdogans ZensurbehթԹԳrde immer mal wieder verbieten lթԹ)sst, erreichte sein Flugzeug nicht. Er wurde verhaftet. Zarakolu sollte in Berlin und am Potsdamer Lepsiushaus VortrթԹ)ge halten թԹԶber die tթԹԶrkische Zivilgesellschaft und ihre Haltung zum VթԹԳlkermord an den osmanischen Armeniern 1915. Anders als frթԹԶher werden Aktivisten wie Zarakolu nicht mehr wegen Beleidigung des TթԹԶrkentums verfolgt, sondern nach den diffusen Bestimmungen der Anti-Terror-Gesetze. Die Polizei beschlagnahmte in seiner Wohnung BթԹԶcher und Manuskripte zum Armeniermord und zur Christenverfolgung im Osmanischen Reich. In einem Brief an die Potsdamer Konferenz erklթԹ)rt Zarakolu, seine Verhaftung sei Teil einer EinschթԹԶchterungskampagne gegen Intellektuelle und Demokraten in der TթԹԶrkei.
Mit dem Verleger wurden achtundvierzig kritische Intellektuelle verhaftet, darunter auch die Verfassungsrechtlerin BթԹԶsra Ersanli (Marmara-UniversitթԹ)t) und zuvor sein Sohn Deniz, GeschթԹ)ftsfթԹԶhrer des Belge Verlages. Seine Festnahme, schreibt Zarakolu, sei Teil der tթԹԶrkischen Verleugnungspolitik, die als թ§Չ-ժԷMaթժԴnahme gegen die Bedrohung der eigenen Sicherheit betrachtetթ§Չ-ժ werde. Er habe in Potsdam թԹԶber eine թ§Չ-ժԷIndustrie der VթԹԳlkermordverleugnungթ§Չ-ժ berichten wollen und pseudowissenschaftliche Studien, von der Regierung und ihrem թ§Չ-ժԷKoordinationsrat gegen die haltlosen Genozidanschuldigungenթ§Չ-ժ in Auftrag gegeben. Ob ein anderer Wissenschaftler seine Teilnahme an der Konferenz kurzfristig absagte, weil die EinschթԹԶchterung wirkt, bleibt Spekulation. Gewiss ist nur: Wer sich diesem Thema in der TթԹԶrkei stellt, riskiert immer noch viel.
Risse im Beton des Vergessens
FթԹԶr Zarakolu sprang kurzfristig die Berliner Osmanistin Elke Hartmann ein, die verschiedene Phasen der Verleugnung referierte, von der Zeit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg bis heute. Immer wieder sei jedoch das verordnete Schweigen durchbrochen worden, etwa nach Erscheinen von Franz Werfels թ§Չ-ժԷMusa Daghթ§Չ-ժ oder 1965, als թԹԶberall auf der Welt Armenier auf die StraթժԴe gingen. Doch kamen die Proteste auch immer wieder zum Stillstand. Als vor einigen Jahren jedoch Fethiye Cetins Roman թ§Չ-ժԷMeine GroթժԴmutterթ§Չ-ժ erschien, begann das betonierte Vergessen empfindliche Risse zu bekommen. Tote, die man zu tief begrթԹ)bt, sagt ein Sprichwort, kommen als Gespenster wieder. Die TթԹԶrkin Cetin hatte entdeckt, dass ihre GroթժԴmutter Armenierin war. Ihr Buch wurde ein Bestseller; die Politik reagierte mit Propagandakampagnen und Geschichtsmythen. Doch die Wahrheit, so Hartmann, entfalte eigene KrթԹ)fte. PlթԹԳtzlich tauchten թԹԶberall in der TթԹԶrkei diese թ§Չ-ժԷarmenischen GroթժԴmթԹԶtterթ§Չ-ժ auf und bevթԹԳlkerten die schwarzen LթԹԳcher der Erinnerung.
Die Historikerin Ayse GթԹԶl Altinay (Sabanci-UniversitթԹ)t Istanbul) forscht seit Jahren zu den թԹԶberlebenden Frauen des VթԹԳlkermords von 1915. Deren Enkel brechen wie Cetin das Schweigen und holen diese vergessene Gruppe ans Licht: Viele Frauen und Kinder wurden nach dem Morden und den Deportationen vergewaltigt, als Lust- oder Zweitfrauen in muslimische Familien oder WaisenhթԹ)user gesteckt und dort zu wahren TթԹԶrken umerzogen. Die erzwungene թ§Չ-ժԷAssimilationթ§Չ-ժ ging einher mit Zwangsislamisierung, Zwangsverheiratung – AuslթԹԳschung durch Konversion nennt Altinay diese TragթԹԳdie. Ein noch kaum erforschtes Kapitel des VթԹԳlkermordes und des tթԹԶrkischen Nationalismus, das aber ahnen lթԹ)sst, warum, bewusst oder unterbewusst, թ§Չ-ժԷAssimilationթ§Չ-ժ fթԹԶr tթԹԶrkische Politiker und deutschtթԹԶrkische GroթժԴfunktionթԹ)re ein Kampfbegriff ist.
Pflicht der VergangenheitsbewթԹ)ltigung
Die Soziologin Necla Kelek appellierte in Potsdam an die deutschen TթԹԶrken, sich hier, ungefթԹ)hrdet und sicher, der Erinnerung an den grausamen Massenmord zu stellen. Wer seine Vergangenheit verliere, sagte sie, GyթԹԳrgy KonrթԹ❁d zitierend, verliere sich selbst. Der deutsche Umgang mit der eigenen Vergangenheit sei ein Vorbild dafթԹԶr. Auch Kelek konnte von einer GroթժԴmutter berichten, die zwar keine Armenierin, aber Augenzeugin der entsetzlichen Gewalt war. Augenzeugen, von denen es viele gebe, die auch zu berichten wթԹԶssten, wie sie einst unverhofft und sehr rasch zu Wohlstand gekommen waren: Sie durften den Besitz der ermordeten oder vertriebenen Armenier թԹԶbernehmen.
Rober Koptas, der junge Chefredakteur der armenisch-tթԹԶrkischen Zeitschrift թ§Չ-ժԷAgosթ§Չ-ժ, erinnerte an Hrant Dink, den GrթԹԶnder seiner Zeitung. Viele hթԹ)tten begonnen nachzudenken und die eigene Herkunft etwas genauer zu erforschen, seit Hrant Dink ermordet worden sei, weil er an 1915 erinnern wollte. Die TթԹԶrkei, sagte Koptas, brauche jetzt einen Willy Brandt, um mit sich endlich ins Reine zu kommen.
faz.net
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