Patriotismus in der Diaspora: Fragen, die wir uns stellen mթƒԹԶssen.Unser Leben in der Fremde.Wir Armenier sind leicht zu beeindrucken. Recht leicht, wenn wir einen Teil unseres Lebens in der Diaspora, in der Zerstreuung verbringen.

Noch leichter, wenn wir unser ganzes Leben fern der armenischen Heimat oder von dem, was uns davon noch geblieben ist, verleben. Armenien bleibt stets in der Ferne, und wir kennen es kaum. Und wir lernen das Land auch kaum kennen: wenn das Schicksal uns einmal in die kleine armenische Republik mitsamt Arzach (Berg Karabach) verschlթƒԹ)gt, verbringen wir unsere Zeit damit, die alten Kirchen und KlթƒԹԳster zu bewundern.

In die weltweite Zerstreuung zurթƒԹԶckgekehrt, vermissen wir sie, die ferne Heimat, ihre Sprache, ihre Berge und TթƒԹ)ler, ihre FlթƒԹԶsse und Seen. Es genթƒԹԶgt ein patriotisches Wort, eine symboltrթƒԹ)chtige Geste, ein armenisches Lied, ein Bildchen oder ein Steinchen aus der Heimat, und wir sind bewegt und tief ergriffen. Da denkt bald manch einer an das rթƒԹԶhrige Lied vom թ§Չ‚-ժԷKrunkթ§Չ‚-Թ, dem Kranich, der dem Irrenden in der Fremde Nachrichten aus der Heimat թƒԹԶberbringt:

թ§Չ‚-ժԷKrunk, hast Du nicht aus unserem Lande eine kleine Nachricht?թ§Չ‚-Թ

Das Lied des armenischen Komponisten Komitas, der am 24. April 1915 zu den ersten gehթƒԹԳrte, die vom nationalistischen Regime der JungtթƒԹԶrken festgenommen und deportiert wurden, drթƒԹԶckt die Sehnsucht aus, die wir fern der Heimat empfinden. Das Schicksal des Komponisten, der die Deportation in den sicheren Tod թƒԹԶberlebte und die letzten zwei Jahrzehnte seines Lebens in einer Pariser Psychiatrie verbrachte – heimatlos, verstթƒԹԳrt und trauernd -, ist zum Symbol fթƒԹԶr die Leiden unseres Volkes geworden. So leben wir fern der Heimat und so fթƒԹԶhlen wir uns vielleicht.

Deswegen ist es wohl nicht wirklich verwunderlich, dass wir in der Diaspora kaum zu bթƒԹ)ndigen sind, wenn ein armenischer WթƒԹԶrdentrթƒԹ)ger aus der fernen, unbekannten Heimat jenseits der Kaukasusberge uns mit seinem Besuch beehrt. Gelingt es dem hohen Gast, unsere SehnsթƒԹԶchte anzusprechen, so gehթƒԹԳren ihm unsere Sympathie, unsere Freundschaft und unsere SolidaritթƒԹ)t. So erlebten wir es beim jթƒԹԶngsten Besuch des armenischen Verteidigungsministers Seyran Ohanyan in der DiթƒԹԳzesankirche Sahak-Mesrop in KթƒԹԳln.

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Unser Alltag in der Heimat

Ende Juli, wenige Wochen nachdem der Verteidigungsminister nach vielen Ehrungen wieder in die Heimat zurթƒԹԶckgekehrt war, erreichten uns in der Diaspora Nachrichten, die uns auf den Boden der bitteren Tatsachen zurթƒԹԶckholten. Innerhalb von zwei Tagen kamen acht junge Armenier unter friedlichen UmstթƒԹ)nden ums Leben:

Am 27. Juli 2010 wurde der 31jթƒԹ)hrige Leutnant Artak Nazaryan (Jerewan) in seiner MilitթƒԹ)reinheit in der Region Tawusch (Armenien) erschossen aufgefunden. Den Angaben aus dem Verteidigungsministerium von Seyran Ohanyan zufolge hatte der junge Leutnant Selbstmord begangen. Dies konnte bei der genauen Expertise jedoch nicht bestթƒԹ)tigt werden. Der Leichnam wies neben der Schusswunde zahlreiche Spuren von Gewalt auf. Artak wurde ganz offensichtlich vorher misshandelt und sehr wahrscheinlich anschlieթƒժԴend erschossen.

Am 28. Juli 2010, ein Tag nach dem Mord an Artak Nazaryan, kam es zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung an der Front in Arzach. Leutnant Vardkes Tadewosyan (Jerewan) und die Soldaten Garegin Howsepyan (Edschmiadzin), Andranik Sarkisyan (Jerewan), Robert Howhanisyan (Wanadzor), Artem Manasyan (Edschmiadzin), Karo Ayvazyan (Jerewan) sind erschossen worden. Sie wurden nach offizieller Darstellung von Karo Ayvazyan getթƒԹԳtet. Karo sei vorbestraft gewesen und habe unter psychischen Problemen gelitten, so wurde das mehrfache Verbrechen anschlieթƒժԴend der թƒՉ€“ffentlichkeit erklթƒԹ)rt. Die psychischen Probleme des aus den USA nach Armenien abgeschobenen Rekruten seien allerdings bereits vor der Einberufung bekannt gewesen. Seine FamilienangehթƒԹԳrigen teilten der թƒՉ€“ffentlichkeit mit, der verantwortliche Offizier sei trotzdem nur gegen Zahlung einer hohen Summe bereit gewesen, den Rekruten vom Dienst an der Waffe frei zu stellen.

Auch in der zweiten AugusthթƒԹ)lfte verbreiteten sich in der armenischen Presse weitere schaurige Nachrichten von Gewalt an jungen Wehrdienstleitenden mit Todesfolge. Vor wenigen Tagen gab das Verteidigungsministerium ein weiteres angebliches Selbstmordopfer bekannt.

Misshandlungen und Erniedrigungen von jungen Rekruten gehթƒԹԳren zum Alltag des armenischen MilitթƒԹ)rs. Diesen Ausartungen sind sowohl einfache Wehrdienstleitende als auch Offiziere, Kommandeure und ranghohe MilitթƒԹ)rs verfallen. Korruption und Erpressung begleiten das ohnehin schwere Leben der jungen MթƒԹ)nner, die fast zwei Jahre ihres Lebens nur damit verbringen, schlicht und ergreifend zu թƒԹԶberleben und vielleicht auch keinen groթƒժԴen Schaden an Leib und Seele davonzutragen. Die armenischen Eltern sind nur noch damit beschթƒԹ)ftigt, alles Erdenkliche zu tun, um ihre SթƒԹԳhne lebend zurթƒԹԶckzuerhalten. Nicht weil es Krieg ist, sondern weil Korruption und kriminelle Sitten im Verteidigungsressort von Seyran Ohanyan unvermindert weiter vorherrschen.

Fragen, die wir uns in der Diaspora stellen mթƒԹԶssen

Wie mag es wohl den Eltern und FamilienangehթƒԹԳrigen der misshandelten und getթƒԹԳteten jungen MթƒԹ)nner in Armenien ergehen, die womթƒԹԳglich wirklich geglaubt haben, ihre SթƒԹԳhne wթƒԹԶrden die Heimat gegen թƒԹ)uթƒժԴere Feinde verteidigen? Was halten diese Menschen davon, wenn wir in der Diaspora einen Minister hochleben lassen, der letztlich die Verantwortung fթƒԹԶr die traurigen ZustթƒԹ)nde in seinem Ministerium und den StreitkrթƒԹ)ften trթƒԹ)gt? Und woran werden wir nթƒԹ)chstes Mal wohl erinnert werden, wenn das Lied vom Krunk unter uns neu angestimmt wird?

թ§Չ‚-ժԷKrunk, hast Du nicht aus unserem Lande eine kleine Nachricht?թ§Չ‚-Թ

Die jungen armenischen Soldaten sind nicht Opfer eines feindlichen Angriffs geworden, sind nicht als թ§Չ‚-ժԷHeldenթ§Չ‚-Թ gefallen, sondern wurden Opfer eines korrupten und inkriminierten Systems, das in der Heimat herrscht. Eines Systems, in dem die Verbrechen vertuscht und die Schuldigen – trotz der anders lautenden ErklթƒԹ)rungen der Verantwortlichen – nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Eines Systems, das weiterhin von unserem Patriotismus, der bar jeglicher RealitթƒԹ)t ist, gespeist und genթƒԹ)hrt wird.

16. September 2010

Arthur Manukian

Armenineninfo.net

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