{"id":7924,"date":"2011-11-07T19:43:25","date_gmt":"2011-11-07T19:43:25","guid":{"rendered":"http:\/\/www.aaeurop.com\/?p=7924"},"modified":"2011-11-07T19:43:25","modified_gmt":"2011-11-07T19:43:25","slug":"schwarze-locher-der-turkei","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/www.aaeurop.com\/?p=7924","title":{"rendered":"Schwarze L\u0569\u0083\u0539\u0533cher der T\u0569\u0083\u0539\u0536rkei"},"content":{"rendered":"
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In der T\u0569\u0083\u0539\u0536rkei werden Intellektuelle inhaftiert, die sich \u0569\u0083\u0539\u0533ffentlich mit dem V\u0569\u0083\u0539\u0533lkermord an den Armeniern befassen. Derweil heben Wissenschaftler kaum erforschte Kapitel des Genozids.<\/p>\n
ie h\u0569\u0083\u0539)tten sich treffen k\u0569\u0083\u0539\u0533nnen in Deutschland, der t\u0569\u0083\u0539\u0536rkische Verleger Ragip Zarakolu und sein Ministerpr\u0569\u0083\u0539)sident Recep Erdogan. Beide waren eingeladen, wenn auch zu absolut unterschiedlichen Veranstaltungen. Doch der hochangesehene Intellektuelle aus Istanbul, dessen B\u0569\u0083\u0539\u0536cher Erdogans Zensurbeh\u0569\u0083\u0539\u0533rde immer mal wieder verbieten l\u0569\u0083\u0539)sst, erreichte sein Flugzeug nicht. Er wurde verhaftet. Zarakolu sollte in Berlin und am Potsdamer Lepsiushaus Vortr\u0569\u0083\u0539)ge halten \u0569\u0083\u0539\u0536ber die t\u0569\u0083\u0539\u0536rkische Zivilgesellschaft und ihre Haltung zum V\u0569\u0083\u0539\u0533lkermord an den osmanischen Armeniern 1915. Anders als fr\u0569\u0083\u0539\u0536her werden Aktivisten wie Zarakolu nicht mehr wegen Beleidigung des T\u0569\u0083\u0539\u0536rkentums verfolgt, sondern nach den diffusen Bestimmungen der Anti-Terror-Gesetze. Die Polizei beschlagnahmte in seiner Wohnung B\u0569\u0083\u0539\u0536cher und Manuskripte zum Armeniermord und zur Christenverfolgung im Osmanischen Reich. In einem Brief an die Potsdamer Konferenz erkl\u0569\u0083\u0539)rt Zarakolu, seine Verhaftung sei Teil einer Einsch\u0569\u0083\u0539\u0536chterungskampagne gegen Intellektuelle und Demokraten in der T\u0569\u0083\u0539\u0536rkei.<\/p>\n
Mit dem Verleger wurden achtundvierzig kritische Intellektuelle verhaftet, darunter auch die Verfassungsrechtlerin B\u0569\u0083\u0539\u0536sra Ersanli (Marmara-Universit\u0569\u0083\u0539)t) und zuvor sein Sohn Deniz, Gesch\u0569\u0083\u0539)ftsf\u0569\u0083\u0539\u0536hrer des Belge Verlages. Seine Festnahme, schreibt Zarakolu, sei Teil der t\u0569\u0083\u0539\u0536rkischen Verleugnungspolitik, die als \u0569\u00a7\u0549\u0082-\u056a\u0537Ma\u0569\u0083\u056a\u0534nahme gegen die Bedrohung der eigenen Sicherheit betrachtet\u0569\u00a7\u0549\u0082-\u056a\u0093 werde. Er habe in Potsdam \u0569\u0083\u0539\u0536ber eine \u0569\u00a7\u0549\u0082-\u056a\u0537Industrie der V\u0569\u0083\u0539\u0533lkermordverleugnung\u0569\u00a7\u0549\u0082-\u056a\u0093 berichten wollen und pseudowissenschaftliche Studien, von der Regierung und ihrem \u0569\u00a7\u0549\u0082-\u056a\u0537Koordinationsrat gegen die haltlosen Genozidanschuldigungen\u0569\u00a7\u0549\u0082-\u056a\u0093 in Auftrag gegeben. Ob ein anderer Wissenschaftler seine Teilnahme an der Konferenz kurzfristig absagte, weil die Einsch\u0569\u0083\u0539\u0536chterung wirkt, bleibt Spekulation. Gewiss ist nur: Wer sich diesem Thema in der T\u0569\u0083\u0539\u0536rkei stellt, riskiert immer noch viel.<\/p>\n
F\u0569\u0083\u0539\u0536r Zarakolu sprang kurzfristig die Berliner Osmanistin Elke Hartmann ein, die verschiedene Phasen der Verleugnung referierte, von der Zeit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg bis heute. Immer wieder sei jedoch das verordnete Schweigen durchbrochen worden, etwa nach Erscheinen von Franz Werfels \u0569\u00a7\u0549\u0082-\u056a\u0537Musa Dagh\u0569\u00a7\u0549\u0082-\u056a\u0093 oder 1965, als \u0569\u0083\u0539\u0536berall auf der Welt Armenier auf die Stra\u0569\u0083\u056a\u0534e gingen. Doch kamen die Proteste auch immer wieder zum Stillstand. Als vor einigen Jahren jedoch Fethiye Cetins Roman \u0569\u00a7\u0549\u0082-\u056a\u0537Meine Gro\u0569\u0083\u056a\u0534mutter\u0569\u00a7\u0549\u0082-\u056a\u0093 erschien, begann das betonierte Vergessen empfindliche Risse zu bekommen. Tote, die man zu tief begr\u0569\u0083\u0539)bt, sagt ein Sprichwort, kommen als Gespenster wieder. Die T\u0569\u0083\u0539\u0536rkin Cetin hatte entdeckt, dass ihre Gro\u0569\u0083\u056a\u0534mutter Armenierin war. Ihr Buch wurde ein Bestseller; die Politik reagierte mit Propagandakampagnen und Geschichtsmythen. Doch die Wahrheit, so Hartmann, entfalte eigene Kr\u0569\u0083\u0539)fte. Pl\u0569\u0083\u0539\u0533tzlich tauchten \u0569\u0083\u0539\u0536berall in der T\u0569\u0083\u0539\u0536rkei diese \u0569\u00a7\u0549\u0082-\u056a\u0537armenischen Gro\u0569\u0083\u056a\u0534m\u0569\u0083\u0539\u0536tter\u0569\u00a7\u0549\u0082-\u056a\u0093 auf und bev\u0569\u0083\u0539\u0533lkerten die schwarzen L\u0569\u0083\u0539\u0533cher der Erinnerung.<\/p>\n
Die Historikerin Ayse G\u0569\u0083\u0539\u0536l Altinay (Sabanci-Universit\u0569\u0083\u0539)t Istanbul) forscht seit Jahren zu den \u0569\u0083\u0539\u0536berlebenden Frauen des V\u0569\u0083\u0539\u0533lkermords von 1915. Deren Enkel brechen wie Cetin das Schweigen und holen diese vergessene Gruppe ans Licht: Viele Frauen und Kinder wurden nach dem Morden und den Deportationen vergewaltigt, als Lust- oder Zweitfrauen in muslimische Familien oder Waisenh\u0569\u0083\u0539)user gesteckt und dort zu wahren T\u0569\u0083\u0539\u0536rken umerzogen. Die erzwungene \u0569\u00a7\u0549\u0082-\u056a\u0537Assimilation\u0569\u00a7\u0549\u0082-\u056a\u0093 ging einher mit Zwangsislamisierung, Zwangsverheiratung – Ausl\u0569\u0083\u0539\u0533schung durch Konversion nennt Altinay diese Trag\u0569\u0083\u0539\u0533die. Ein noch kaum erforschtes Kapitel des V\u0569\u0083\u0539\u0533lkermordes und des t\u0569\u0083\u0539\u0536rkischen Nationalismus, das aber ahnen l\u0569\u0083\u0539)sst, warum, bewusst oder unterbewusst, \u0569\u00a7\u0549\u0082-\u056a\u0537Assimilation\u0569\u00a7\u0549\u0082-\u056a\u0093 f\u0569\u0083\u0539\u0536r t\u0569\u0083\u0539\u0536rkische Politiker und deutscht\u0569\u0083\u0539\u0536rkische Gro\u0569\u0083\u056a\u0534funktion\u0569\u0083\u0539)re ein Kampfbegriff ist.<\/p>\n
Die Soziologin Necla Kelek appellierte in Potsdam an die deutschen T\u0569\u0083\u0539\u0536rken, sich hier, ungef\u0569\u0083\u0539)hrdet und sicher, der Erinnerung an den grausamen Massenmord zu stellen. Wer seine Vergangenheit verliere, sagte sie, Gy\u0569\u0083\u0539\u0533rgy Konr\u0569\u0083\u0539\u2741d zitierend, verliere sich selbst. Der deutsche Umgang mit der eigenen Vergangenheit sei ein Vorbild daf\u0569\u0083\u0539\u0536r. Auch Kelek konnte von einer Gro\u0569\u0083\u056a\u0534mutter berichten, die zwar keine Armenierin, aber Augenzeugin der entsetzlichen Gewalt war. Augenzeugen, von denen es viele gebe, die auch zu berichten w\u0569\u0083\u0539\u0536ssten, wie sie einst unverhofft und sehr rasch zu Wohlstand gekommen waren: Sie durften den Besitz der ermordeten oder vertriebenen Armenier \u0569\u0083\u0539\u0536bernehmen.<\/p>\n
Rober Koptas, der junge Chefredakteur der armenisch-t\u0569\u0083\u0539\u0536rkischen Zeitschrift \u0569\u00a7\u0549\u0082-\u056a\u0537Agos\u0569\u00a7\u0549\u0082-\u056a\u0093, erinnerte an Hrant Dink, den Gr\u0569\u0083\u0539\u0536nder seiner Zeitung. Viele h\u0569\u0083\u0539)tten begonnen nachzudenken und die eigene Herkunft etwas genauer zu erforschen, seit Hrant Dink ermordet worden sei, weil er an 1915 erinnern wollte. Die T\u0569\u0083\u0539\u0536rkei, sagte Koptas, brauche jetzt einen Willy Brandt, um mit sich endlich ins Reine zu kommen.<\/p>\n
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