{"id":5633,"date":"2011-06-06T08:43:55","date_gmt":"2011-06-06T08:43:55","guid":{"rendered":"http:\/\/www.aaeurop.com\/?p=5633"},"modified":"2011-06-06T08:43:55","modified_gmt":"2011-06-06T08:43:55","slug":"erika-steinbach-und-der-stein-der-weisheit","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/www.aaeurop.com\/?p=5633","title":{"rendered":"Erika Steinbach und der Stein der Weisheit"},"content":{"rendered":"
Die Einladung von Erika Steinbach als Rednerin zum Gedenktag des V\u0569\u0083\u0539\u0533lkermordes an den Armeniern in der Frankfurter Paulskirche ist h\u0569\u0083\u0539\u0533chst bemerkenswert.<\/p>\n
Sie ist Mitglied des Bundestagsfraktion der CDU, Sprecherin f\u0569\u0083\u0539\u0536r Menschenrechte und Humanit\u0569\u0083\u0539)re Hilfe und dar\u0569\u0083\u0539\u0536ber hinaus ist sie zur F\u0569\u0083\u0539\u0536rsprecherin der Christen in islamischen L\u0569\u0083\u0539)ndern geworden. Seit 1998 ist sie Pr\u0569\u0083\u0539)sidentin des Bundes der Vertriebenen und die Vorsitzende des Zentrums gegen Vertreibungen.<\/p>\n
Bis hierher ist alles wunderbar. Jetzt m\u0569\u0083\u0539\u0533chte ich die unterschiedlichen Ebenen meiner gespeicherten Bilder in meinem Kopf und das Bild von Erika Steinbach beschreiben und in einen diskursiven Kontext stellen.<\/p>\n
Als ich in meinem politischen, wissenschaftlichen, polnischen und j\u0569\u0083\u0539\u0536dischen Umfeld erz\u0569\u0083\u0539)hlte, dass der Zentralrat der Armenier in Deutschland (ZAD) Erika Steinbach zur Gedenkfeier einl\u0569\u0083\u0539)dt, war die Reaktion nicht positiv, eher verwundert, fragw\u0569\u0083\u0539\u0536rdig. Das liegt daran, dass ich mich in kritischen Kreisen bewege und in diesem Umfeld herrschen Distanz und Ablehnung gegen\u0569\u0083\u0539\u0536ber Erika Steinbach. Sie agiert und produziert ein widerspr\u0569\u0083\u0539\u0536chliches Bild und Diskurs zur Politik der Bundesrepublik Deutschland zu ihrem Nachbarn Polen und Tschechien.\u0569\u0082\u0539\u00a0<\/p>\n
Die erste Ebene meiner Empfindlichkeit ist: Mein Mann tr\u0569\u0083\u0539)gt einen polnischen Namen. Mein Schwiegervater war zehn Jahre alt, als er vor den anr\u0569\u0083\u0539\u0536ckenden Sowjets aus Pommern fliehen musste. Die Ankunft und die Ansiedlung im Nachkriegsdeutschland waren nicht leicht. Sein Hab und Gut aus der Heimat besteht aus drei vergilbten Bildern und Kindheitserinnerungen. Er hat alles zur\u0569\u0083\u0539\u0536ck lassen m\u0569\u0083\u0539\u0536ssen. Trotzt der Vertreibung und des Verlusts der Heimat ist ihm bewusst, dass manche der Vertriebenen ihre Ansiedlung in der BRD vergolden lie\u0569\u0083\u056a\u0534en und manche immer noch nach Kriegsende und Millionen von Toten die Geschichte politisch missbrauchen. Inzwischen \u0569\u0083\u0539\u0536ber 80, stellt er seine Wurst immer noch selber her. Meine polnischen G\u0569\u0083\u0539)ste sind jedes Mal begeistert,<\/p>\n
weil die Wurst von meinem Schwiegervater genauso schmeckt, wie zu Hause in Polen. Vor ein paar Jahren haben seine drei S\u0569\u0083\u0539\u0533hne den Vater dazu gebracht, den Weg in die Heimat zu suchen, widerwillig. Er erkannte das Gutshaus, in dem er geboren wurde erst durch die alten Silos wieder; das Haus stand nicht mehr, aber zu seiner Verwunderung gab es die alten Gr\u0569\u0083\u0539)ber auf dem Waldfriedhof noch.<\/p>\n
Mein Mann bezeichnet sich selbst als ein Grenzkind. Gestern war er Pole und heute ist er Deutscher. Wenn die Grenze wieder verschoben wird, wird er wieder Pole sein. In einem Punkt ist er sehr eigen, wenn man seinen polnischen Adelsnamen mit dem des preu\u0569\u0083\u056a\u0534ischen Adels verwechselt, dann kann er wunderbar aus dem Rahmen fallen. Aber wo er jetzt langsam in die Jahre kommt, denkt er dar\u0569\u0083\u0539\u0536ber nach, sich eines Tages in Polen begraben zu lassen.<\/p>\n
Auf der politischen Ebene, wird jeder Antrag, jede Aussage, jede Begegnung der Vereine mit dem \u0569\u0083\u0539\u0533ffentlichen Erscheinungsbild des ZAD gemessen.<\/strong><\/p><\/blockquote>\n
\u0569\u0082\u0539\u00a0<\/p>\n
Unsere Tochter besucht die deutsch-polnische katholische Schule in Berlin; entsprechend bev\u0569\u0083\u0539\u0533lkern Mitsch\u0569\u0083\u0539\u0536ler aus der Klasse meinen K\u0569\u0083\u0539\u0536chentisch: Deutsche, Katholiken aus Afrika und Asien, Polen, Kaschuben und Schlesier. Die schlesischen Kinder vertilgen bei mir Berge von K\u0569\u0083\u0539\u0533fte, Dolma und gef\u0569\u0083\u0539\u0536hlte B\u0569\u0083\u0539\u0533rek-Taschen mit Schafsk\u0569\u0083\u0539)se, Kartoffelp\u0569\u0083\u0539\u0536ree und Pastirma und erz\u0569\u0083\u0539)hlen, dass sie weder polnisch noch deutsch sind. Sie sind Schlesier. Es entsteht au\u0569\u0083\u056a\u0534erhalb unseres Blickwinkels eine unabh\u0569\u0083\u0539)ngige Identit\u0569\u0083\u0539)t, ohne sich von der polnischen oder der deutschen vereinnahmen zu lassen.<\/p>\n
Die zweite Ebene des Bildes ist Polen in der Gegenwart. Polen ist ein Teil von Europa und seit der Wende in den Mittelpunkt des europ\u0569\u0083\u0539)ischen Bewusstseins ger\u0569\u0083\u0539\u0536ckt und ist an seinem Platz angekommen. Polen ist mit der europ\u0569\u0083\u0539)ischen und deutschen Geschichte tief verwurzelt. Die Grenze zwischen Deutschen und Polen ist flie\u0569\u0083\u056a\u0534ender als manch einer sich vorstellen kann und sollte nicht in der Gegenwart als Projektionsfl\u0569\u0083\u0539)che f\u0569\u0083\u0539\u0536r die Geschichtspolitik des dritten Reiches missbraucht werden.<\/p>\n
Die dritte Ebene ist die Wirkung von Erika Steinbach auf mich, \u0569\u0083\u0539\u0536ber ihre Rolle in der CDU hinaus. Sie tritt in Deutschland in Erscheinung als die Sprecherin der Vertriebenen. Wenn ich den deutschen Historiker G\u0569\u0083\u0539\u0533tz Aly zitieren darf, hat der Bund der deutschen Vertriebenen in den 1950er und 1960er Jahren Altnazis und Massenm\u0569\u0083\u0539\u0533rdern\u0569\u0082\u0539\u00a0en gros<\/em>\u0569\u0082\u0539\u00a0bezahlten Unterschlupf gew\u0569\u0083\u0539)hrt. Erika Steinbach ist die in den heutigen Grenzen von Polen geborene Tochter eines deutschen Besatzungssoldaten. Die polnische Tageszeitung Rzeczpospolita enth\u0569\u0083\u0539\u0536llte, dass sie nicht aus einer alteingesessenen westpreu\u0569\u0083\u056a\u0534ischen Familie stammt, sondern dass ihr Vater ein aus Hanau stammender und 1939 in Westpreu\u0569\u0083\u056a\u0534en stationiert Besatzungssoldat war; ihre Mutter wurde dorthin als Luftwaffenhelferin dienstverpflichtet.<\/p>\n
Vertrieben zu sein tritt anders in Erscheinung, Besatzer zu sein anders.<\/p>\n
Die deutschen Besatzer ermordeten Juden, wo sie auch immer hinkamen, davon zeugen die vielen Vernichtungslager und Hunderte kleiner und gro\u0569\u0083\u056a\u0534er Konzentrationslager in ganz Polen. Nicht nur das Warschauer Ghetto, das Symbol der nationalsozialistischer Gewaltherrschaft, in dem zeitweise eine halbe Million Juden auf engsten Raum zusammenlebten auf die \u0569\u00a7\u0549\u0082-\u056a\u2741Endl\u0569\u0083\u0539\u0533sung\u0569\u00a7\u0549\u0082-\u0549\u0084\u00a7 wartend; oder soll ich es lieber den J\u0569\u0083\u0539\u0536dischen Wohnbezirk in Warschau nennen, nach alter Rhetorik?<\/p>\n
Die Einladung des ZAD und die damit demonstrierte N\u0569\u0083\u0539)he zur Frau Steinbach bringt f\u0569\u0083\u0539\u0536r mich unweigerlich die Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit mit sich. Wie beeinflusst dies das Erscheinungsbild des ZAD? Der ZAD repr\u0569\u0083\u0539)sentiert immer hin 12 armenische Vereine in Deutschland. Auf der politischen Ebene wird jeder Antrag, jede Aussage, jede Begegnung der Vereine mit dem \u0569\u0083\u0539\u0533ffentlichen Erscheinungsbild des ZAD gemessen.<\/p>\n
Ende der siebziger Jahre machte ich eine Lehre in Frankfurt am Main. Mein Chef war ein ehemaliger Soldat der Wehrmacht. Er hat mich damals eingestellt, weil ich als Armenierin in Erscheinung getreten bin. Jedes Jahr versammelten sich bei ihm ehemaligen Kampfgef\u0569\u0083\u0539)hrten, um in Erinnerung an die alten Tagen zu schwelgen, hinter verschlossenen T\u0569\u0083\u0539\u0536ren. Sie erz\u0569\u0083\u0539)hlten mir von Heldentaten und dem gemeinsamen Kampf, Schulter an Schultern in Gr\u0569\u0083\u0539)ben zusammen mit Krimtataren, Ukrainern, Georgiern, Aserbaidschanern und Armeniern. Die alten Herren beschenkten mich mit Literatur des Dritten Reiches \u0569\u0083\u0539\u0536ber Armenier; der Band mit dem Titel \u0569\u00a7\u0549\u0082-\u056a\u0537Armeniertum ist Ariertum\u0569\u00a7\u0549\u0082-\u056a\u0093 ist einer meiner seltenen Sch\u0569\u0083\u0539)tze aus dieser Zeit. Irgendwann verstand ich, warum ich eingestellt wurde; durch meine Identit\u0569\u0083\u0539)t konnte und durfte ich den alten Soldaten der Wehrmacht ganz nah sein.<\/p>\n
Die Hinterlassenschaften und das Erbe des Dritten Reiches zeugen und mahnen an die unr\u0569\u0083\u0539\u0536hmlichen Zeiten der deutschen Vergangenheit, die auch unsere Geschichte geworden ist, mit der Migration unserer Eltern nach Deutschland und f\u0569\u0083\u0539\u0536r viele in Deutschland geborene Armenier.<\/p>\n
Diese N\u0569\u0083\u0539)he macht auch die Armenier angreifbar.<\/strong><\/p><\/blockquote>\n
\u0569\u0082\u0539\u00a0<\/p>\n
Meiner Meinung nach ist Frau Erika Steinbach durch ihre Herkunft, ihre Rhetorik und ihren Auftritt eine Galionsfigur, ein Symbol der Opfergesellschaft, die nach dem II. Weltkrieg in Deutschland in Erscheinung getreten ist. Sie geht immer auf Distanz, wenn von Vertriebenen rechtsextremistische Gedanken ge\u0569\u0083\u0539)u\u0569\u0083\u056a\u0534ert werden. Das war bei der EUFV, der Europ\u0569\u0083\u0539)ischen Union der Vertriebenen, der Fall; vor ein paar Wochen bei den Jungen Schlesiern. Sie betont immer wieder, der Bund der Vertriebenen stehe dem Rechtsextremismus nicht nah. Dieser Diskurs macht mich trotzdem Nachdenklich. Hat sie nicht letztes Jahr die Kriegsschuldfrage relativiert? Diese Aussage bezahlte sie mit dem R\u0569\u0083\u0539\u0536ckzug aus der CDU-Spitze.<\/p>\n
Die EUFV ist eine im politischen Spektrum rechts stehende Organisation. Der damalige Vorstand des ZAD war bei der Gr\u0569\u0083\u0539\u0536ndung anwesend und hatte den Eintritt des ZAD in die EUFV bef\u0569\u0083\u0539\u0536rwortet. Dieser Schritt ist damals unterbunden worden. Die Einladung von Frau Steinbach f\u0569\u0083\u0539\u0536r eine Gedenkrede ist eine Demonstration der politischen und sozialen N\u0569\u0083\u0539)he der Organisatoren zur Rednerin.<\/p>\n
Vor Kurzem fragte ich einen Landes-Politiker, warum der rechte Fl\u0569\u0083\u0539\u0536gel der CDU sich f\u0569\u0083\u0539\u0536r die Anerkennung des V\u0569\u0083\u0539\u0533lkermordes an den Armeniern einsetzt. Die Antwort war ern\u0569\u0083\u0539\u0536chternd. Er sagte, dass er damit zeigen wolle, dass die anderen V\u0569\u0083\u0539\u0533lker auch Morde begangen haben. Hier geht es nicht um die Vernichtung und Vertreibung von 1,5 Millionen Armeniern. Hier geht es darum, zu sagen: Wir haben von anderen gelernt; T\u0569\u0083\u0539\u0536rken haben es vorgemacht; wir haben nur wiederholt. Wenn die T\u0569\u0083\u0539\u0536rken keine Armenier ermordet h\u0569\u0083\u0539)tten, h\u0569\u0083\u0539)tten wir keine Juden ermordet.<\/p>\n
Die letzte Ebene meiner Empfindlichkeiten ist, dass sich aus meiner Sicht der ZAD und die 12 armenischen Vereine in Deutschland durch die N\u0569\u0083\u0539)he zur EUFV und zur Frau Steinbach angreifbar machen. Wie wird der Zentralrat der Armenier in Zukunft Stellung beziehen k\u0569\u0083\u0539\u0533nnen angesichts von Millionen von Toten des Zweiten Weltkrieges, darunter 6 Millionen Juden, 3 Millionen sowjetischer Kriegsgefangener, Euthanasie-Opfer, die Verfolgten der gleichgeschlechtlichen Lebensweise, anders Denkende, Roma und Sinti…..? Die Liste ist lang.<\/p>\n
Was ich pers\u0569\u0083\u0539\u0533nlich unbeschreiblich b\u0569\u0083\u0539\u0533se finde, ist nicht die Einladung von Erika Steinbach, sondern die Instrumentalisierung eines Dritten.\u0569\u0082\u0539\u00a0<\/p>\n
hay-society.de<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"
Die Einladung von Erika Steinbach als Rednerin zum Gedenktag des V\u0569\u0083\u0539\u0533lkermordes an den Armeniern in der Frankfurter Paulskirche ist h\u0569\u0083\u0539\u0533chst bemerkenswert. Sie ist Mitglied des Bundestagsfraktion der CDU, Sprecherin f\u0569\u0083\u0539\u0536r Menschenrechte und Humanit\u0569\u0083\u0539)re Hilfe und […]<\/a><\/p>\n<\/div><\/div><\/div><\/div><\/div><\/div><\/div><\/div>","protected":false},"author":1,"featured_media":5634,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"_kadence_starter_templates_imported_post":false,"footnotes":""},"categories":[8,10],"tags":[],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/www.aaeurop.com\/index.php?rest_route=\/wp\/v2\/posts\/5633"}],"collection":[{"href":"https:\/\/www.aaeurop.com\/index.php?rest_route=\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/www.aaeurop.com\/index.php?rest_route=\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.aaeurop.com\/index.php?rest_route=\/wp\/v2\/users\/1"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.aaeurop.com\/index.php?rest_route=%2Fwp%2Fv2%2Fcomments&post=5633"}],"version-history":[{"count":1,"href":"https:\/\/www.aaeurop.com\/index.php?rest_route=\/wp\/v2\/posts\/5633\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":5635,"href":"https:\/\/www.aaeurop.com\/index.php?rest_route=\/wp\/v2\/posts\/5633\/revisions\/5635"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.aaeurop.com\/index.php?rest_route=\/wp\/v2\/media\/5634"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/www.aaeurop.com\/index.php?rest_route=%2Fwp%2Fv2%2Fmedia&parent=5633"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.aaeurop.com\/index.php?rest_route=%2Fwp%2Fv2%2Fcategories&post=5633"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.aaeurop.com\/index.php?rest_route=%2Fwp%2Fv2%2Ftags&post=5633"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}