{"id":17507,"date":"2016-04-23T07:50:37","date_gmt":"2016-04-23T07:50:37","guid":{"rendered":"http:\/\/www.aaeurop.com\/?p=17507"},"modified":"2016-04-23T07:50:37","modified_gmt":"2016-04-23T07:50:37","slug":"wie-soll-man-in-so-einem-land-leben-konnen","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/www.aaeurop.com\/?p=17507","title":{"rendered":"Wie soll man in so einem Land leben k\u0569\u0083\u0539\u0533nnen?"},"content":{"rendered":"

Auch davon will Pr\u0569\u0083\u0539)sident Erdogan nichts wissen: Die Historikerin Talin Suciyan beschreibt in einem Buch neue Details der leidvollen Geschichte der Armenier in der T\u0569\u0083\u0539\u0536rkei, die den V\u0569\u0083\u0539\u0533lkermord von 1915 bis heute leugnet. 20.04.2016,<\/span> von Rainer Hermann<\/span><\/a><\/span> <\/span><\/p>\n

Der Genozid des Jahres 1915 war das schw\u0569\u0083\u0539)rzeste Kapitel in der Geschichte des armenischen Volkes. Nur wenige mehr als hunderttausend Armenier haben auf dem Boden der heutigen T\u0569\u0083\u0539\u0536rkei, ihrer Heimat, \u0569\u0083\u0539\u0536berlebt. Die meisten \u0569\u0083\u056a\u0093berlebenden begannen in der Diaspora ein neues Leben. Doch auch die ersten Jahrzehnte in der 1923 gegr\u0569\u0083\u0539\u0536ndeten Republik T\u0569\u0083\u0539\u0536rkei sollten f\u0569\u0083\u0539\u0536r die Armenier Istanbuls und Anatoliens ein dunkles Kapitel werden.<\/p>\n

Die Historikerin Talin Suciyan, die in Istanbul geboren wurde, zeichnet in ihrer Monographie nach, wie der neue t\u0569\u0083\u0539\u0536rkische Nationalstaat mit seiner Politik der Leugnung des Genozids und parallel die t\u0569\u0083\u0539\u0536rkische Gesellschaft in einem Alltag von Diskriminierungen die Armenier dazu zwangen, sich diesem Diskurs der Leugnung zu f\u0569\u0083\u0539\u0536gen. Wertvoll macht die Studie \u0569\u0083\u0539\u0536ber die Armenier in der T\u0569\u0083\u0539\u0536rkei, dass Suciyan armenische Zeitungen ausgewertet hat, die in Istanbul erschienen sind und bislang kaum beachtet wurden, und weil sie zahlreiche armenische Zeitzeugen interviewte.<\/p>\n

Was die t\u0569\u0083\u0539\u0536rkische Geschichtsschreibung ausblendet<\/h2>\n

Die an der Ludwig-Maximilians-Universit\u0569\u0083\u0539)t M\u0569\u0083\u0539\u0536nchen t\u0569\u0083\u0539)tige Suciyan legt damit einen Blick auf die Geschichte der T\u0569\u0083\u0539\u0536rkei in der ersten H\u0569\u0083\u0539)lfte des zwanzigsten Jahrhunderts frei, der sich von der traditionellen t\u0569\u0083\u0539\u0536rkischen Geschichtsschreibung unterscheidet. Denn diese blendet die Geschichte von Minderheiten wie der Kurden, Armenier, Griechen und assyrischen Christen aus, obwohl sie wesentlich zum kulturellen Erbe Anatoliens beigetragen haben.<\/p>\n

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\u0569\u0082\u0539. PHOENIX\/NDR\/Lepsius Archiv<\/span><\/p>\n

Massenmord und Vertreibung: Armenier auf dem Treck in die W\u0569\u0083\u0539\u0536ste. Nur wenige Kinder wurden von Hilfsorganisationen gerettet.<\/p>\n

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\"Aghet <\/a> \u0569\u0082\u0539. PHOENIX\/NDR\/Lepsius Archiv \"Vergr\u0569\u0083\u0539\u0533\u0569\u0083\u056a\u0534ern\"<\/a> <\/span>Massenmord und Vertreibung: Armenier auf dem Treck in die W\u0569\u0083\u0539\u0536ste. Nur wenige Kinder wurden von Hilfsorganisationen gerettet.<\/span><\/span><\/span><\/p>\n

Erst in j\u0569\u0083\u0539\u0536ngerer Zeit haben auch t\u0569\u0083\u0539\u0536rkische Historiker begonnen, Exzesse des t\u0569\u0083\u0539\u0536rkischen Staats gegen die Minderheiten aufzuarbeiten – wie die Vertreibung der Juden 1934 aus Thrakien, die Niederschlagung des kurdischen Aufstands 1938 in Dersim, die prohibitive Verm\u0569\u0083\u0539\u0533gensabgabe von Nichtmuslimen 1942, der Pogrom gegen die Griechen 1955 und deren Vertreibung aus Istanbul 1964. Kein moderner Staat habe die physische und kulturelle Existenz von Minderheiten derart systematisch ausgel\u0569\u0083\u0539\u0533scht wie die T\u0569\u0083\u0539\u0536rkei, zitiert die Autorin den Historiker Hans-Lukas Kieser.<\/p>\n

Wer in Anatolien als Armenier \u0569\u0083\u0539\u0536berlebte – und nicht wie viele Kinder zwangsislamisiert wurde, oder, um zu \u0569\u0083\u0539\u0536berleben, zum Islam konvertierte – lie\u0569\u0083\u056a\u0534 sich in Istanbul nieder. Damit ging nahezu die gesamte reiche armenische Kultur Anatoliens verloren. Und in Istanbul, wo heute fast alle der achtzigtausend t\u0569\u0083\u0539\u0536rkischen Armenier leben, wurden die \u0569\u0083\u056a\u0093berlebenden damit konfrontiert, dass sie nicht willkommen waren, da sie bei dem Prozess der Schaffung eines homogenen t\u0569\u0083\u0539\u0536rkischen Nationalstaats nur st\u0569\u0083\u0539\u0533rten. Riza Nur sprach es 1923 offen aus: Die T\u0569\u0083\u0539\u0536rkei k\u0569\u0083\u0539\u0533nne f\u0569\u0083\u0539\u0536r die Armenier keine Heimat sein.<\/p>\n

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\u0569\u0082\u0539. PHOENIX\/NDR\/Lepsius Archiv<\/span><\/p>\n

Die Eltern sind verschwunden: armenische Waisenkinder 1915.<\/p>\n

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\"Aghet <\/a> \u0569\u0082\u0539. PHOENIX\/NDR\/Lepsius Archiv \"Vergr\u0569\u0083\u0539\u0533\u0569\u0083\u056a\u0534ern\"<\/a> <\/span>Die Eltern sind verschwunden: armenische Waisenkinder 1915.<\/span><\/span><\/span><\/p>\n

Mit vielen Beispielen aus dem Alltag zeichnet Suciyan nach, was das bedeutet hat: Razzien, die Enteignung von Immobilien der Gemeinde, die Entf\u0569\u0083\u0539\u0536hrung schulpflichtiger M\u0569\u0083\u0539)dchen, die willk\u0569\u0083\u0539\u0536rlich praktizierte Wehrpflicht f\u0569\u0083\u0539\u0536r Mitglieder der Minderheiten, das Verbot von armenischen Publikationen. Die willk\u0569\u0083\u0539\u0536rlich ausgelegte \u0569\u00a7\u0549\u0082-\u056a\u0537Herabsetzung des T\u0569\u0083\u0539\u0536rkentums\u0569\u00a7\u0549\u0082-\u056a\u0093 wurde ein Straftatbestand, andere durften aber herabgew\u0569\u0083\u0539\u0536rdigt und beleidigt werden. Das Ziel war: Die Armenier sollten assimiliert werden oder das Land verlassen.<\/p>\n

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