VON LOTHAR SCHR\u0569\u0083\u0549\u0080\u0093DER – zuletzt aktualisiert: 28.06.2012 – 02:30<\/p>\n
D\u0569\u0083\u0539\u0536sseldorf (RP).<\/em> Vor 300 Jahren wurde der schweizerisch-franz\u0569\u0083\u0539\u0533sische Denker geboren. Aus heutiger Sicht erscheint er als vielfacher Neuerer: als erster “\u0569\u0083\u0549\u0080\u0093ko”, als Occupy-Vordenker, erster Sozialist und erster Reformp\u0569\u0083\u0539)dagoge. Dabei war er mehr Theoretiker als Praktiker. Seine f\u0569\u0083\u0539\u0536nf Kinder steckte er in ein Heim. <\/strong><\/p>\n Vor diesem Namen geht man unweigerlich in die Knie \u0569\u00a7\u0549\u0082-\u0549\u0080\u009c vor Jean-Jacques Rousseau (1712\u0569\u00a7\u0549\u0082-\u0549\u0080\u009c1778), vor einem der mutigsten Aufkl\u0569\u0083\u0539)rer und gr\u0569\u0083\u0539\u0533\u0569\u0083\u056a\u0534ten Enzyklop\u0569\u0083\u0539)disten, einem der klarsten Denker \u0569\u00a7\u0549\u0082-\u0549\u0080\u009c und unter den vielen Intellektuellen seiner Zeit sogar einem der popul\u0569\u0083\u0539)rsten. Dass sein Name aus der betr\u0569\u0083\u0539)chtlichen Distanz von nunmehr 300 Jahren immer noch zu uns her\u0569\u0083\u0539\u0536berweht, hat einen weiteren, ehrf\u0569\u0083\u0539\u0536rchtig machenden Grund: Rousseau ist in seinem Denken derart modern, dass er einer von uns ist, nach wie vor ein Zeitgenosse, dem vermutlich nichts von all dem, was uns heute ber\u0569\u0083\u0539\u0536hrt und bedr\u0569\u0083\u0539)ngt, fremd gewesen w\u0569\u0083\u0539)re.<\/p>\n Rousseau also f\u0569\u0083\u0539\u0536r den schnellen Hausgebrauch? Rousseau handlich und dienstbar gemacht f\u0569\u0083\u0539\u0536rs Aktuelle? Solche Fragestellungen zielen in die falsche Richtung: Wir zerren nicht Rousseau zu uns her\u0569\u0083\u0539\u0536ber, sondern schauen zur\u0569\u0083\u0539\u0536ck auf einen Denker, der sich so bedeutender Themen annahm, dass diese auch heute noch die Menschen umtreiben. Und auch darin liegt seine Faszination. Was Rousseau demnach so alles dachte und begr\u0569\u0083\u0539\u0536ndete? Zuallererst wohl dies:<\/p>\n Rousseau \u0569\u00a7\u0549\u0082-\u0549\u0080\u009c der erste \u0569\u0083\u0549\u0080\u0093ko Das ist vielleicht das ber\u0569\u0083\u0539\u0536hmteste Schlagwort, das einem zum geb\u0569\u0083\u0539\u0536rtigen Genfer in den Sinn kommt: Zur\u0569\u0083\u0539\u0536ck zur Natur! Nur ist dieser \u0569\u0083\u0539\u0533kologische Kampfbegriff nirgendwo bei Rousseau schriftlich belegt. Wahrscheinlich entspricht es eher dem Wunsch der Nachwelt, sein Denken auf einen Begriff zu bringen.<\/p>\n Rousseau huldigte in Wirklichkeit einem idealisierten Naturzustand. Der ist f\u0569\u0083\u0539\u0536r jeden Zivilisierten zwar nicht mehr erreichbar; aber es ist sinnf\u0569\u0083\u0539)llig, dar\u0569\u0083\u0539\u0536ber nachzudenken. Im Rousseauschen Paradies ist alles gut, unverbildet und rein. Die Beziehungen unter den Geschlechtern? Nur animalisch und darum ohne jede Verwerfung. Die Existenz? Die Menschen leben zwar isoliert, sind daf\u0569\u0083\u0539\u0536r aber niemandem untertan. Eine Sprache? Gibt es nicht, auch keine Reflexion. Der erste Mensch ist faktisch nicht b\u0569\u0083\u0539\u0533se gewesen, denn weil er v\u0569\u0083\u0539\u0533llig selbstst\u0569\u0083\u0539)ndig war, hatte er \u0569\u0083\u0539\u0536berhaupt kein Interesse daran, jemandem zu schaden.<\/p>\n Dieser Naturzustand ist pure Kultur- und Gesellschaftskritik. Schlie\u0569\u0083\u056a\u0534lich sind wir alle von der Gesellschaft Verdorbene, Zivilisationsgesch\u0569\u0083\u0539)digte. So wird der Naturzustand f\u0569\u0083\u0539\u0536r Rousseau zu einer Chiffre f\u0569\u0083\u0539\u0536r die Sehnsucht nach so etwas wie Ursprung, nach einer Art Goldenem Zeitalter.<\/p>\n Das ist mutig, in der Zeit der Aufkl\u0569\u0083\u0539)rung aber \u0569\u00a7\u0549\u0082-\u0549\u0080\u009c die immerhin das Hohelied des Denkens anstimmt \u0569\u00a7\u0549\u0082-\u0549\u0080\u009c ist es geradezu verwegen. Auch darum finden sich zu Lebzeiten des Philosophen alsbald Kritiker ein, die Rousseau mit H\u0569\u0083\u0539)me k\u0569\u0083\u0539\u0536ren. Der Ber\u0569\u0083\u0539\u0536hmteste: Voltaire. Als dieser Rousseaus “Abhandlung \u0569\u0083\u0539\u0536ber die Ungleichheit” gelesen hat, greift er zur Feder und schreibt dem wenig verehrten Kollegen: “Das Lesen Ihres Buches erweckt in einem das Bed\u0569\u0083\u0539\u0536rfnis, auf allen vieren herumzulaufen. Da ich jedoch diese Besch\u0569\u0083\u0539)ftigung vor einigen sechzig Jahren aufgegeben habe, f\u0569\u0083\u0539\u0536hle ich mich ungl\u0569\u0083\u0539\u0536cklicherweise nicht in der Lage, sie wieder aufzunehmen.”<\/p>\n Rousseau \u0569\u00a7\u0549\u0082-\u0549\u0080\u009c der Occupy-Vordenker Bei diesem Paradies aber bel\u0569\u0083\u0539)sst es Rousseau nicht. Denn ihm ist es schon klar, dass die Pforten hierzu f\u0569\u0083\u0539\u0536r uns nicht mehr begehbar sind. Das hindert ihn freilich nicht an der Kritik gegenw\u0569\u0083\u0539)rtiger Zust\u0569\u0083\u0539)nde; vor allem jener am Eigentum. Das \u0569\u0083\u056a\u0093bel beginnt f\u0569\u0083\u0539\u0536r ihn mit der arbeitsteiligen Ackerbaugesellschaft, und mit ihr beginnt die Zivilisation. Regeln werden aufgestellt, Abh\u0569\u0083\u0539)ngigkeiten entstehen. Pl\u0569\u0083\u0539\u0533tzlich gibt es so etwas wie Arm und Reich. Schuld daran ist nach Rousseau vielleicht der erste Zaun gewesen, der erste Mensch, der auf die Idee kam, “ein Grundst\u0569\u0083\u0539\u0536ck einzuhegen und zu behaupten: das geh\u0569\u0083\u0539\u0533rt mir”. Dieser Mensch ist f\u0569\u0083\u0539\u0536r Rousseau der eigentliche Begr\u0569\u0083\u0539\u0536nder der b\u0569\u0083\u0539\u0536rgerlichen Gesellschaft. Was darauf folgt: Verbrechen und Kriege, Mord und Elend. Und so sieht der gro\u0569\u0083\u056a\u0534e Denker viele L\u0569\u0083\u0539)nder Europas schnurstracks dem Untergang, zumindest der Krise entgegeneilen. So fr\u0569\u0083\u0539\u0536h hat sonst keiner eine Occupy-Bewegung ins Leben gerufen.<\/p>\n Rousseau \u0569\u00a7\u0549\u0082-\u0549\u0080\u009c der erste Sozialist Um einiges fr\u0569\u0083\u0539\u0536her ist eine andere soziale Bewegung auf Rousseau aufmerksam geworden: Karl Marx (1818\u0569\u00a7\u0549\u0082-\u0549\u0080\u009c1883) hatte seine helle Freude an den Schriften des Philosophen, nicht nur an der grundlegenden Kritik des Eigentums, sondern auch an der von Rousseau postulierten “Volont\u0569\u0083\u0539. g\u0569\u0083\u0539.n\u0569\u0083\u0539.rale”, einem Gemeinwillen, der sich im Volk zu bilden beginnt. Ganz zu schweigen von jenem ber\u0569\u0083\u0539\u0536hmten Satz, mit dem Rousseaus Grundlegung des politischen Rechts anhebt: “Der Mensch wird frei geboren, und \u0569\u0083\u0539\u0536berall ist er in Ketten.” Und wie die Pr\u0569\u0083\u0539)ambel eines utopischen Sozialismus klingen solche S\u0569\u0083\u0539)tze aus dem 18. Jahrhundert: “Die Besitzer sind nur Verwalter des \u0569\u0083\u0539\u0533ffentlichen Guts. Der Souver\u0569\u0083\u0539)n kann sich rechtm\u0569\u0083\u0539)\u0569\u0083\u056a\u0534igerweise der G\u0569\u0083\u0539\u0536ter aller bem\u0569\u0083\u0539)chtigen, wie das zu Sparta geschah.” Nach dieser Lekt\u0569\u0083\u0539\u0536re muss ein Sozialist nicht mehr seine eigene Wortmacht bem\u0569\u0083\u0539\u0536hen.<\/p>\n Rousseau \u0569\u00a7\u0549\u0082-\u0549\u0080\u009c \u0569\u0082\u0539\u00a0erster Reformp\u0569\u0083\u0539)dagoge Zwischen der Sehnsucht nach einem Naturzustand, der Kritik am Eigentum und der Unfreiheit des Menschen fehlt als Wink in eine bessere Zukunft ein wesentlicher Baustein: derjenige der Erziehung des Menschengeschlechts. Es ist diesmal keine philosophische Schrift, die Rousseau dazu entwirft. In guter p\u0569\u0083\u0539)dagogischer Absicht gestaltet er sein Programm unterhaltsamer \u0569\u00a7\u0549\u0082-\u0549\u0080\u009c mit seinem Erziehungsroman “Emile”. Und auch das ist \u0569\u00a7\u0549\u0082-\u0549\u0080\u009c auf andere Weise \u0569\u00a7\u0549\u0082-\u0549\u0080\u009c revolution\u0569\u0083\u0539)r. Denn Kinder sollen nicht nach einem Schema erzogen und zu Kopien ihrer Erzieher gemacht werden. Kinder sind f\u0569\u0083\u0539\u0536r Rousseau m\u0569\u0083\u0539\u0536ndige Menschen, die es wert sind, in ihren pers\u0569\u0083\u0539\u0533nlichen F\u0569\u0083\u0539)higkeiten gef\u0569\u0083\u0539\u0533rdert zu werden.<\/p>\n Rousseau entdeckt das Individuum von klein auf und spricht von guten Naturanlagen in jedem von uns, die nur reifen m\u0569\u0083\u0539\u0536ssen. So ist seine P\u0569\u0083\u0539)dagogik eine eher passive. Denn sie besteht zun\u0569\u0083\u0539)chst darin, verbildende Einfl\u0569\u0083\u0539\u0536sse \u0569\u00a7\u0549\u0082-\u0549\u0080\u009c also alle Wirkungen des Gesellschaftslebens \u0569\u00a7\u0549\u0082-\u0549\u0080\u009c vom Z\u0569\u0083\u0539\u0533gling fernzuhalten. Ein Meilenstein in der P\u0569\u0083\u0539)dagogik, eine Erziehungsvorstellung, die ihrer Zeit um Jahrhunderte voraus war.<\/p>\n Doch manchmal ist es auch so, dass Reformp\u0569\u0083\u0539)dagogen vor allem gute Theoretiker sind, deren praktische F\u0569\u0083\u0539)higkeiten zu w\u0569\u0083\u0539\u0536nschen \u0569\u0083\u0539\u0536briglassen \u0569\u00a7\u0549\u0082-\u0549\u0080\u009c bis in unsere heutige Zeit hinein. Und was Jean-Jacques Rousseau angeht, der heute vor 300\u0569\u0082\u0539\u00a0Jahren geboren wurde: Alle seine f\u0569\u0083\u0539\u0536nf Kinder steckte er kurz nach ihrer Geburt in ein Findelheim. Sie waren der zum Denken und Schreiben n\u0569\u0083\u0539\u0533tigen Ruhe ganz offenkundig abtr\u0569\u0083\u0539)glich.<\/p>\n VON LOTHAR SCHR\u0569\u0083\u0549\u0080\u0093DER – zuletzt aktualisiert: 28.06.2012 – 02:30 D\u0569\u0083\u0539\u0536sseldorf (RP). Vor 300 Jahren wurde der schweizerisch-franz\u0569\u0083\u0539\u0533sische Denker geboren. Aus heutiger Sicht erscheint er als vielfacher Neuerer: als erster “\u0569\u0083\u0549\u0080\u0093ko”, als Occupy-Vordenker, erster Sozialist und […]<\/a><\/p>\n<\/div><\/div><\/div><\/div><\/div><\/div><\/div><\/div>","protected":false},"author":1,"featured_media":10974,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"_kadence_starter_templates_imported_post":false,"footnotes":""},"categories":[7],"tags":[],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/www.aaeurop.com\/index.php?rest_route=\/wp\/v2\/posts\/10973"}],"collection":[{"href":"https:\/\/www.aaeurop.com\/index.php?rest_route=\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/www.aaeurop.com\/index.php?rest_route=\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.aaeurop.com\/index.php?rest_route=\/wp\/v2\/users\/1"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.aaeurop.com\/index.php?rest_route=%2Fwp%2Fv2%2Fcomments&post=10973"}],"version-history":[{"count":1,"href":"https:\/\/www.aaeurop.com\/index.php?rest_route=\/wp\/v2\/posts\/10973\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":10975,"href":"https:\/\/www.aaeurop.com\/index.php?rest_route=\/wp\/v2\/posts\/10973\/revisions\/10975"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.aaeurop.com\/index.php?rest_route=\/wp\/v2\/media\/10974"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/www.aaeurop.com\/index.php?rest_route=%2Fwp%2Fv2%2Fmedia&parent=10973"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.aaeurop.com\/index.php?rest_route=%2Fwp%2Fv2%2Fcategories&post=10973"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.aaeurop.com\/index.php?rest_route=%2Fwp%2Fv2%2Ftags&post=10973"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}
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