
to :
Bundeskanzleramt Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel Willy-Brandt-Straße 1 10557 Berlin
BundeskanzleramtFrau Bundeskanzlerin Angela MerkelWilly-Brandt-Straße 110557 Berlin
to:
Auswärtiges Amt
Frau Staatsministerin Cornelia Pieper
11013 Berlin
Assembly of Armenians of Europe
to:
Deutscher Bundestag
Platz der Republik 1
11011 Berlin
ASSEMBLY OF ARMENIANS OF EUROPE (AAE)
ԵՎՐՈՊԱՅԻ ՀԱՅԵՐԻ ՀԱՄԱԳՈՒՄԱՐ (ԵՀՀ
press releas
Assembly of Armenians of Europe
Garo Hakopian
Box. 25 106, 75025 Uppsala, SWEDEN
Ansprechpartner Deutschland :
Dr. Raffi Bedikian
Oststrasse 143
46539 Dinslaken
E-Mail: bedikian2001@yahoo.de
Auswärtiges Amt
Frau Staatsministerin Cornelia Pieper
11013 Berlin
Offener Brief an das Bundeskanzleramt, den Bundestag und das Auswärtige Amt
Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich
Sehr geehrte Frau Staatsministerin Pieper,
anlässlich des bevorstehenden 95. Jahrestages des Völkermordes an den Armeniern im
Osmanischen Reich und der damit zusammenhängenden Antwort der Bundesregierung auf
die Kleine Anfrage der Partei DieLinke. (BT-Drs. 17/687 vom 10.02.2010) möchten wir uns,
die Assembly of Armenians of Europe (AAE), an Sie wenden.
Die Bundestags-Drucksache 15/5689 aus dem Jahre 2005 wurde von den in Deutschland
lebenden Armeniern begrüßt. Auch wenn die Begriffe „Genozid“ bzw. „Völkermord“ nicht
verwendet worden waren, so sah man doch in der Annahme des Antrages von CDU/CSU,
SPD, FDP und Grüne/Bündnis 90 die Verurteilung von staatlich gelenktem Unrecht, da der
Bundestag die Taten der jungtürkischen Regierung des Osmanischen Reiches, die zur fast
vollständigen Vernichtung der Armenier in Anatolien geführt haben, beklagte.
Nach der neuesten Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Partei DieLinke.
drängt sich bei uns Armeniern jedoch der Verdacht auf, dass man bereits seinerzeit gewisse
Begrifflichkeiten vermieden hat, um sich einen Notausgang offen zu halten. Man erfreute die
Armenier, ohne die türkische Regierung oder die hier lebenden türkischen Migranten allzu
sehr zu verärgern. Man sprach sogar für eine Untersuchungskommission, die die
Geschehnisse prüfen und neu bewerten sollte, aus. Ganz im Sinne der türkischen Regierung,
also der Rechtsnachfolgerin der Täter.
Die Bundesregierung lässt sich in ihrer aktuellen Stellungnahme (BT-Drs. 17/687 vom
10.02.2010) vorschnell dazu verleiten, die zivilen Aktionen bezüglich der Aufarbeitung der
Geschichte in der Türkei gutzuheißen. Sie blendet die eigentliche Zielrichtung der Fragen aus
und ignoriert, dass es dem Fragesteller um die Maßnahmen zur Anerkennung eines
bestimmten Völkermordes geht. Vielmehr äußert sie sich über die aktuelle Lage der Türkei in
Bezug auf Reform- und Demokratisierungsprozesses und betont, dass sich die
Bundesregierung für eine Verbesserung der Situation in der Türkei einsetze.
Es geht den Fragestellern ebenso wie der den Armeniern, als Betroffene dieser
geschichtlichen Ereignisse, nicht um eine Verbesserung der Situation in der Türkei, es geht
v.a. um Anerkennung einer Straftat und der Herstellung der Würde seiner Verstorbenen.
Ausdrücklich gelobt wird die Internet-Petition, die eine knapp formulierte Entschuldigung
beinhaltet, in welcher der Begriff „Völkermord“, ganz im Sinne der türkischen Regierung
vermieden wird.
Recep Tayyip Erdogans scheinbare Ablehnung der Kampagne diente der Wahrung einer
Kulisse, während er sich im klaren darüber war, dass die Unterschriften-Aktion das positive
Image einer demokratischen, offenen Türkei untermalte. Der türkische Machtapparat
spendete keinen Trost, übernahm keine Verantwortung, sondern bereicherte sich ein
weiteres Mal an dem Leid der Opfer. Die Aktion, die scheinbar den Nachkommen der Opfer
galt, entpuppte sich als trojanisches Pferd.
Ein weiteres Beispiel für eine scheinbare Verbesserung der Bereitschaft sich der eigenen
Geschichte zu stellen ist der des Artikel 301 des türkischen Strafgesetzbuches. Die Änderung
des Artikels wird in der Antwort der Bundesregierung ebenfalls unbedacht positiv beurteilt.
Inwieweit ist die geringfügige Änderung des Strafrahmens von Bedeutung, wenn der
Straftatbestand an sich unverändert existiert und weiterhin im Widerspruch zu Art. 10 der
europäischen Menschenrechtskonvention steht?
Die Antwort der Bundesregierung übersieht, dass die Grundrechte einer prinzipiellen
Beschränkung unterliegen und allesamt unter dem faktischen Vorbehalt, dass die Familie,
das Land, das Türkentum nicht beschädigt werden, gelten. Diesen nationalistischen
Grundgedanken möchte kein Mandatsträger der Türkei antasten.
Darüber hinaus mussten wir erfahren, dass die Bundesregierung ein Projekt des Instituts für
internationale Zusammenarbeit des deutschen Volkshochschulverbandes (dvv-international)
finanziell unterstütze, in dessen Rahmen Studenten zusammenkämen und sich mit der
Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte auseinandersetzen.
Dass sich einzelne aus der Zivilbevölkerung entschuldigen, ist nicht gleichzusetzen mit der
Anerkennung des Völkermordes durch die Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reiches, der
heutigen Türkei. Übersieht die Bundesregierung hier tatsächlich, dass die Anerkennung eines
Genozids nicht vorrangig eine Angelegenheit der Zivilbevölkerung, geschweige den eine von
Studenten ist? Hier sollte die türkische Regierung gefordert werden vorrangig zur Tat zu
schreiten!
Tragisch endet die Stellungnahme der Bundesregierung mit den Worten, die Aufarbeitung
der Ereignisse von 1915 / 16 sei in erster Linie Sache der beiden betroffenen Länder. Sollen
demnach die Nachkommen der Täter und Opfer selbst ihr eigenes Problem lösen?
Interessiert sich die Bundesregierung lediglich für die Annäherung dieser Staaten aufgrund
der unterzeichneten Protokolle – selbst wenn in diesem Projekt einer der Beteiligten den
Preis der Verhöhnung der 1,5 Millionen Opfer zahlen müsste?
Im Gegensatz zur Bundestags-Drucksache 15/5689 aus dem Jahre 2005 übersieht Frau
Cornelia Pieper, dass das Deutsche Reich im Ersten Weltkrieg mit der jungtürkischen
Regierung verbündet war, dass deutsche Offiziere und Generäle im Osmanischen Heer
dienten und, dass Berlin zum schweigenden Komplizen wurde. Auf die Berichte seines
empörten Botschafters in Istanbul antwortete der deutsche Reichskanzler Bethmann-
Hollweg: “Unser einziges Ziel war, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu
halten, gleichgültig, ob darüber Armenier zugrunde gingen oder nicht.”
Die Anerkennung des Völkermordes unter expliziter Verwendung dieses juristischen
Begriffes ist eben nicht allein Sache des türkischen und armenischen Staates. Hätte jemand
sich nach Ende des Dritten Reiches gewagt eine ähnliche Empfehlung wie Frau Cornelia
Pieper auszusprechen?
Wir sollen über unsere Verstorbenen hinwegsehen, damit wir alle unseren Beitrag zum
Frieden leisten. Ein Frieden wäre jedoch eher möglich, wenn die Rechtsnachfolgerin des
Osmanischen Reiches endlich Ehrgefühl zeigen und zu ihrer Geschichte stehen würde.
Die Faktizität des Völkermordes an den Armeniern im Osmanischen Reich darf nicht zum
Spielball verschiedenster politischer Interessen gemacht werden. Es ist von einem –
allgemein bekannten – internationalen Konsens über die Tatsächlichkeit des Genozids
auszugehen. Klärungsbedarf existiert nicht.
Die Jungtürken des Osmanischen Reiches töteten Mitglieder der religiös-ethnischen Gruppe
der Armenier in der Absicht, diese religiös-ethnische Gruppe als solche zu vernichten.
Armenier des osmanischen Reiches haben damit ohne persönliche Schuld allein aufgrund
ihrer Abstammung durch staatlich organisierte und gelenkte Gewaltmaßnahmen auf
grausame Weise ihr Leben verloren. Die Geschehnisse im Osmanischen Reich sind, durch
Erfüllung sämtlicher – lediglich alternativ gesetzter – Voraussetzungen des Art. II der UNVölkermordkonvention
vom 18. Dezember 1948, juristisch unstreitig als Völkermord zu
qualifizieren.
Dokumente aus dem politischen Archiv des Auswärtigen Amtes des Deutschen Reiches, aus
den Archiven Österreich-Ungarns, aus dem Nationalarchiv der USA, Augenzeugenberichte
von im Osmanischen Reich tätigen Missionaren, Video-Zeugnisse von Überlebenden,
Nachkriegsbestände des armenischen Patriarchats von Konstantinopel, aber auch
osmanische Quellen, wie z.B. im amtlichen Gesetzblatt des Osmanischen Reiches gedruckte
Protokolle der Istanbuler Prozesse, Sitzungsprotokolle des osmanischen Parlamentes,
Berichte der postjungtürkischen parlamentarischen Untersuchungskommission und der
sogenannten Mazhar-Kommission sowie alte osmanische Zeitungen, beschreiben, was in den
einzelnen Provinzen des Osmanischen Reiches geschah.
Diese Dokumente belegen v.a., dass die Ittihad-Partei die Kader für die Vernichtung stellte,
deren technische Durchführung der sogenannten Sonderorganisation übertragen wurde,
einer SS-artigen Formation, die über Mordkommandos gebot, denen Gendarmen der
Provinzpolizei, aber auch Strafhäftlinge angehörten, die der Staat mit der Lizenz zum Töten
vorzeitig aus der Haft entlassen hatte.
In einer Reihe von Prozessen, die gegen führende türkische Politiker angestrengt worden
waren, mit dem Ziel, den Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkrieges zu
untersuchen und die Verantwortlichen zu bestrafen, wurde bereits 1919/20 vor dem
Kriegsgericht in Istanbul der juristische Nachweis der staatlichen Planung und Organisation
der Vernichtung eines gesamten Volkes, erbracht. Diese Istanbuler – Prozesse kamen durch
Druck der alliierten Mächte zustande, die damit einen ersten Schritt unternahmen,
Menschenrechtsprinzipien mit Hilfe einer internationalen Strafgerichtsbarkeit zur Geltung zu
verhelfen.
Seit 1965 haben über 21 Staaten, das Europäische Parlament, der Europarat, die durch den
osmanischen Staat begangenen Deportationen und Massaker der Jahre 1915–1917 offiziell
als Genozid entsprechend der UN-Völkermordkonvention von 1948 als historische Tatsache
anerkannt und verurteilt.
Die Taten sind daher nicht von einer Historikerkommission zu untersuchen, sondern von der
internationalen Gemeinschaft, aber im Besonderen von der Rechtsnachfolgerin des
Osmanischen Reiches, der heutigen Türkei, durch Anerkennung zu verurteilen. Gleiches gilt
für den damaligen Verbündeten des Osmanischen Reiches bzw. dessen Rechtsnachfolger,
die heutige Bundesrepublik Deutschland.
Spricht sich die Bundesregierung in Einklang mit Ankara für die Notwendigkeit einer
Untersuchungskommission aus, stellt sie das Leid der armenischen Bevölkerung als
fragwürdig, gar unglaubhaft dar.
Mit dem Ruf nach einer historischen Untersuchung wird der wichtigste Aspekt
stillschweigend, fast unbemerkt unterschlagen: Die Frage, ob besagte Übergriffe und
Massaker im Osmanischen Reich als Völkermord, und damit als Straftat nach
internationalem Recht zu beurteilen sind, ist definitiv keine historische mehr. Durch die
Parlamente und Regierungen der internationalen Gemeinschaft ist lediglich unter
Anwendung juristischer Arbeitsmethoden festzustellen, dass die vorgeworfenen Handlungen
den Straftatbestand des Art. II der UN-Übereinkommens von 18. Dezember 1948 erfüllen.
Nun ist die Bundesrepublik Deutschland aufgefordert sich dieser Aufgabe zu stellen – aus
Respekt vor der eigenen Vergangenheit und den Menschenrechten, vor allem aber auch
unabhängig von politischen Zweckmäßigkeiten.
Schließlich erweckt die Türkei mit ihrer Forderung nach einer unabhängigen Kommission
nicht wirklich den Eindruck der Aufrichtigkeit: Ein Premierminister, der durchgreifend die
Faktizität des Genozids bestreitet, kann keine Untersuchungskommission befürworten,
deren Untersuchungsergebnis seiner Genozid-Diplomatie die Grundlage nimmt.
Die Unseriösität der türkischen Bemühungen zur Aufarbeitung der eigenen Geschichte zeigt
auch das tragische Schicksal des armenischen Journalisten Hrant Dink. Dink hat sich für
Versöhnung eingesetzt. Ihm ging es nicht um eine Schuldzuweisung, sondern um die ehrliche
Aufarbeitung der Geschehnisse, um den in der heutigen Türkei lebenden Gemeinschaften
von Türken und Armeniern eine Versöhnung zu ermöglichen. Seine Leistungen wurden mit
dem Tod bestraft.
Die schleppenden Ermittlungen staatlichen Behörden zeigten auf, dass nationalistische
Kräfte und Teile des Militärs hinter dem jugendlichen Mörder des Journalisten standen. Die
Befürchtung, dass rechtskräftige Verurteilungen auf sich warten lassen werden, drängt sich
auf.
Dass die von der türkischen Regierung bevorzugte Historikerkommission nur eine einzige
Aufgabe haben kann, nämlich die scheinbare Widerlegung vorliegender Beweise, um der
Leugnung eine Rechtfertigung zu verschaffen, ist offensichtlich.
Die Türkei zieht ihr Botschafter zurück, sobald ein unabhängiger Staat sich wagt, mit der sog.
Armenier-Frage zu beschäftigen. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sagt
Staatsbesuche ab und erklärt öffentlich, er könne armenische Bürger aufgrund mangelnder
Aufenthaltserlaubnis deportieren.
Selbstverständlich wird sich der Premierminister der Türkei nicht wagen, diese Drohung zu
verwirklichen. Auch sind die von Erdogan genannten Zahlen von 100.000 illegalen Armeniern
alles andere als richtig.
Ziel dieser Drohgebärde ist jedoch nicht ihre Realisierung, sondern Agitation und
Propaganda, v.a. im eigenen Land. Solche rassistischen, anti-armenischen Äußerungen
machen alle in der Türkei lebenden Armenier, unabhängig ihrer Staatsangehörigkeit, zur
Zielscheibe. Die Botschaft lautet: Das Türkentum lässt sich nicht kritisieren und kommt
seinen Kritikern zuvor! Hiermit nährt der Premierminister eines Staates nationalistische
Stimmen seines Landes und zeigt alles andere als Versöhnungsabsichten.
Die Illegalität des Aufenthaltes vermag die rassistische Äußerung des Premierministers nicht
zu rechtfertigen. Wollte die Türkei tatsächlich gegen illegale Einwanderung vorgehen, und
auf den positiv ökonomischen Effekt einer billigen und rechtlosen Arbeiterschaft verzichten,
so dürfte sie ihre Maßnahmen nicht an der Ethnie einer einzigen Gruppe festmachen. Sie
müsste Maßnahmen ergreifen, die sich allein nach der Illegalität der Einwanderung richten,
unabhängig von der Herkunft des Betroffenen.
Dass ein Premierminister, dessen Staatsbürger in Millionen als Flüchtlinge und Migranten in
Europäischen Ländern leben, und dessen Staat eine Mitgliedschaft in der Europäischen
Union anstrebt, sich unverhohlen rassistisch äußern darf, ist erschreckend.
Die Systematik der türkischen Genozid-Diplomatie zeigt sich auch bei dem türkischen
Außenminister Ahmet Davutoglu. Dieser droht ungeniert, Versuche der internationalen
Gemeinschaft die Geschehnisse als Völkermord zu qualifizieren, könnten den sog.
Versöhnungsprozess behindern.
Wieso darf Ankara die Voraussetzungen für die Versöhnungen bestimmen und fordern, dass
nicht nur Armenien und andere Staaten der internationalen Gemeinschaft von dem
Standpunkt des Genozides abrücken? Ist das Anlegen eines Maulkorbes der türkische Beitrag
zur Versöhnung? Seit wann hängt die Beurteilung geschichtlicher Ereignisse von der
politischen Bekömmlichkeit der Gegenwart ab?
Wieso setzt die Türkei für die Normalisierung der Verhältnisse voraus, dass sich Armenien
aus Berg-Karabach zurückzieht? Sie hat es sich zur Doktrin gemacht im Berg-Karabach-
Konflikt auf der Seite Aserbaidschans zu stehen. Unter dem Vorwand, die Versöhnung mit
Armenien anzustreben, mischt sie sich in fremde Konflikte und behindert selbst jeden
Versuch einer Versöhnung.
Wieso wird ein iranischer Präsident für den Ruf nach einer Historikerkommission, wenn auch
zu recht, auf schärfste verurteilt, während der türkische Premier und seine Minister für die
gleiche Forderung gelobt werden. Dass die Türkei derzeit versucht sich als Vermittler
zwischen der westlichen und der islamischen Welt verdient zu machen, darf als Begründung
für diese Ungleichbehandlung nicht ausreichen.
Seit wann darf der Nachkomme des Täters die Bedingungen seiner bevorstehenden
Verhandlung durch geopolitische Zweckmäßigkeiten diktieren? Wäre der Holocaust an den
Juden im Dritten Reich kein Völkermord, wenn Deutschland nach und trotz dieser Ereignisse
strategisch von besonderer Bedeutung gewesen wäre? Hätte man eine Versöhnung ohne
Anerkennung einer Schuld erreichen können?
Ein Vertragspartner, der im Nachhinein Bedingungen setzt, um seiner vertraglichen
Verpflichtung zu entgehen, der sich propagandistischer Äußerungen bedient, um seinem
eigenen Volk gegenüber Stärke zu demonstrieren, verspielt die Chance auf eine
vertrauensvolle, internationale Zusammenarbeit.
Ein Premier, der in Ankara am 19.03.2010, öffentlich erklärt, der bevorstehende 95.
Jahrestag sei der Jahrestag einer der wenigen Siege des türkische Militärs im ersten
Weltkrieg, muss öffentlich verurteilt werden.
Die leidvolle Geschichte des armenischen Volkes wird zum Spielball der Nationen, die eine
verfängliche Versöhnung anstreben. Unverzichtbare Voraussetzung einer Versöhnung ist
Anerkennung von Schuld, die Anerkennung der Faktizität. Erst dann besteht eine
Verhandlungsgrundlage für eine echte Versöhnung.
Die Gedenkkultur hat einen unschätzbaren Wert in Europa. Die Bundesregierung sollte
tunlichst vermeiden ein so wertvolles Gut feilzubieten.
Wir rufen die Bundesregierung und den Bundestag auf, das wichtigste Anliegen der
armenischen Diaspora in Deutschland mit 60.000 Mitgliedern ernst zu nehmen.
Wir fordern von Bundesregierung und Bundestag, den Genozid an den Armeniern aufrichtig
anzuerkennen.
Wir rufen die Bundesregierung und den Bundestag aber auch auf, die Türkei öffentlich
auffordern, den an der armenischen Bevölkerung des Osmanischen Reiches verübten
Genozid als historische Tatsache anzuerkennen und die Dinge beim Namen zu nennen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Raffi Bedikian
Assembly of Armenians of Europe
15.04.2010
press releas
to :
Bundeskanzleramt Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel Willy-Brandt-Straße 1 10557 Berlin
BundeskanzleramtFrau Bundeskanzlerin Angela MerkelWilly-Brandt-Straße 110557 Berlin
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Auswärtiges Amt
Frau Staatsministerin Cornelia Pieper
11013 Berlin
Assembly of Armenians of Europe
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Deutscher Bundestag
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11011 Berlin
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Box. 25 106, 75025 Uppsala, SWEDEN
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Dr. Raffi Bedikian
Oststrasse 143
46539 Dinslaken
E-Mail: bedikian2001@yahoo.de
Auswärtiges Amt
Frau Staatsministerin Cornelia Pieper
11013 Berlin
Offener Brief an das Bundeskanzleramt, den Bundestag und das Auswärtige Amt
Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich
Sehr geehrte Frau Staatsministerin Pieper,
anlässlich des bevorstehenden 95. Jahrestages des Völkermordes an den Armeniern im
Osmanischen Reich und der damit zusammenhängenden Antwort der Bundesregierung auf
die Kleine Anfrage der Partei DieLinke. (BT-Drs. 17/687 vom 10.02.2010) möchten wir uns,
die Assembly of Armenians of Europe (AAE), an Sie wenden.
Die Bundestags-Drucksache 15/5689 aus dem Jahre 2005 wurde von den in Deutschland
lebenden Armeniern begrüßt. Auch wenn die Begriffe „Genozid“ bzw. „Völkermord“ nicht
verwendet worden waren, so sah man doch in der Annahme des Antrages von CDU/CSU,
SPD, FDP und Grüne/Bündnis 90 die Verurteilung von staatlich gelenktem Unrecht, da der
Bundestag die Taten der jungtürkischen Regierung des Osmanischen Reiches, die zur fast
vollständigen Vernichtung der Armenier in Anatolien geführt haben, beklagte.
Nach der neuesten Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Partei DieLinke.
drängt sich bei uns Armeniern jedoch der Verdacht auf, dass man bereits seinerzeit gewisse
Begrifflichkeiten vermieden hat, um sich einen Notausgang offen zu halten. Man erfreute die
Armenier, ohne die türkische Regierung oder die hier lebenden türkischen Migranten allzu
sehr zu verärgern. Man sprach sogar für eine Untersuchungskommission, die die
Geschehnisse prüfen und neu bewerten sollte, aus. Ganz im Sinne der türkischen Regierung,
also der Rechtsnachfolgerin der Täter.
Die Bundesregierung lässt sich in ihrer aktuellen Stellungnahme (BT-Drs. 17/687 vom
10.02.2010) vorschnell dazu verleiten, die zivilen Aktionen bezüglich der Aufarbeitung der
Geschichte in der Türkei gutzuheißen. Sie blendet die eigentliche Zielrichtung der Fragen aus
und ignoriert, dass es dem Fragesteller um die Maßnahmen zur Anerkennung eines
bestimmten Völkermordes geht. Vielmehr äußert sie sich über die aktuelle Lage der Türkei in
Bezug auf Reform- und Demokratisierungsprozesses und betont, dass sich die
Bundesregierung für eine Verbesserung der Situation in der Türkei einsetze.
Es geht den Fragestellern ebenso wie der den Armeniern, als Betroffene dieser
geschichtlichen Ereignisse, nicht um eine Verbesserung der Situation in der Türkei, es geht
v.a. um Anerkennung einer Straftat und der Herstellung der Würde seiner Verstorbenen.
Ausdrücklich gelobt wird die Internet-Petition, die eine knapp formulierte Entschuldigung
beinhaltet, in welcher der Begriff „Völkermord“, ganz im Sinne der türkischen Regierung
vermieden wird.
Recep Tayyip Erdogans scheinbare Ablehnung der Kampagne diente der Wahrung einer
Kulisse, während er sich im klaren darüber war, dass die Unterschriften-Aktion das positive
Image einer demokratischen, offenen Türkei untermalte. Der türkische Machtapparat
spendete keinen Trost, übernahm keine Verantwortung, sondern bereicherte sich ein
weiteres Mal an dem Leid der Opfer. Die Aktion, die scheinbar den Nachkommen der Opfer
galt, entpuppte sich als trojanisches Pferd.
Ein weiteres Beispiel für eine scheinbare Verbesserung der Bereitschaft sich der eigenen
Geschichte zu stellen ist der des Artikel 301 des türkischen Strafgesetzbuches. Die Änderung
des Artikels wird in der Antwort der Bundesregierung ebenfalls unbedacht positiv beurteilt.
Inwieweit ist die geringfügige Änderung des Strafrahmens von Bedeutung, wenn der
Straftatbestand an sich unverändert existiert und weiterhin im Widerspruch zu Art. 10 der
europäischen Menschenrechtskonvention steht?
Die Antwort der Bundesregierung übersieht, dass die Grundrechte einer prinzipiellen
Beschränkung unterliegen und allesamt unter dem faktischen Vorbehalt, dass die Familie,
das Land, das Türkentum nicht beschädigt werden, gelten. Diesen nationalistischen
Grundgedanken möchte kein Mandatsträger der Türkei antasten.
Darüber hinaus mussten wir erfahren, dass die Bundesregierung ein Projekt des Instituts für
internationale Zusammenarbeit des deutschen Volkshochschulverbandes (dvv-international)
finanziell unterstütze, in dessen Rahmen Studenten zusammenkämen und sich mit der
Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte auseinandersetzen.
Dass sich einzelne aus der Zivilbevölkerung entschuldigen, ist nicht gleichzusetzen mit der
Anerkennung des Völkermordes durch die Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reiches, der
heutigen Türkei. Übersieht die Bundesregierung hier tatsächlich, dass die Anerkennung eines
Genozids nicht vorrangig eine Angelegenheit der Zivilbevölkerung, geschweige den eine von
Studenten ist? Hier sollte die türkische Regierung gefordert werden vorrangig zur Tat zu
schreiten!
Tragisch endet die Stellungnahme der Bundesregierung mit den Worten, die Aufarbeitung
der Ereignisse von 1915 / 16 sei in erster Linie Sache der beiden betroffenen Länder. Sollen
demnach die Nachkommen der Täter und Opfer selbst ihr eigenes Problem lösen?
Interessiert sich die Bundesregierung lediglich für die Annäherung dieser Staaten aufgrund
der unterzeichneten Protokolle – selbst wenn in diesem Projekt einer der Beteiligten den
Preis der Verhöhnung der 1,5 Millionen Opfer zahlen müsste?
Im Gegensatz zur Bundestags-Drucksache 15/5689 aus dem Jahre 2005 übersieht Frau
Cornelia Pieper, dass das Deutsche Reich im Ersten Weltkrieg mit der jungtürkischen
Regierung verbündet war, dass deutsche Offiziere und Generäle im Osmanischen Heer
dienten und, dass Berlin zum schweigenden Komplizen wurde. Auf die Berichte seines
empörten Botschafters in Istanbul antwortete der deutsche Reichskanzler Bethmann-
Hollweg: “Unser einziges Ziel war, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu
halten, gleichgültig, ob darüber Armenier zugrunde gingen oder nicht.”
Die Anerkennung des Völkermordes unter expliziter Verwendung dieses juristischen
Begriffes ist eben nicht allein Sache des türkischen und armenischen Staates. Hätte jemand
sich nach Ende des Dritten Reiches gewagt eine ähnliche Empfehlung wie Frau Cornelia
Pieper auszusprechen?
Wir sollen über unsere Verstorbenen hinwegsehen, damit wir alle unseren Beitrag zum
Frieden leisten. Ein Frieden wäre jedoch eher möglich, wenn die Rechtsnachfolgerin des
Osmanischen Reiches endlich Ehrgefühl zeigen und zu ihrer Geschichte stehen würde.
Die Faktizität des Völkermordes an den Armeniern im Osmanischen Reich darf nicht zum
Spielball verschiedenster politischer Interessen gemacht werden. Es ist von einem –
allgemein bekannten – internationalen Konsens über die Tatsächlichkeit des Genozids
auszugehen. Klärungsbedarf existiert nicht.
Die Jungtürken des Osmanischen Reiches töteten Mitglieder der religiös-ethnischen Gruppe
der Armenier in der Absicht, diese religiös-ethnische Gruppe als solche zu vernichten.
Armenier des osmanischen Reiches haben damit ohne persönliche Schuld allein aufgrund
ihrer Abstammung durch staatlich organisierte und gelenkte Gewaltmaßnahmen auf
grausame Weise ihr Leben verloren. Die Geschehnisse im Osmanischen Reich sind, durch
Erfüllung sämtlicher – lediglich alternativ gesetzter – Voraussetzungen des Art. II der UNVölkermordkonvention
vom 18. Dezember 1948, juristisch unstreitig als Völkermord zu
qualifizieren.
Dokumente aus dem politischen Archiv des Auswärtigen Amtes des Deutschen Reiches, aus
den Archiven Österreich-Ungarns, aus dem Nationalarchiv der USA, Augenzeugenberichte
von im Osmanischen Reich tätigen Missionaren, Video-Zeugnisse von Überlebenden,
Nachkriegsbestände des armenischen Patriarchats von Konstantinopel, aber auch
osmanische Quellen, wie z.B. im amtlichen Gesetzblatt des Osmanischen Reiches gedruckte
Protokolle der Istanbuler Prozesse, Sitzungsprotokolle des osmanischen Parlamentes,
Berichte der postjungtürkischen parlamentarischen Untersuchungskommission und der
sogenannten Mazhar-Kommission sowie alte osmanische Zeitungen, beschreiben, was in den
einzelnen Provinzen des Osmanischen Reiches geschah.
Diese Dokumente belegen v.a., dass die Ittihad-Partei die Kader für die Vernichtung stellte,
deren technische Durchführung der sogenannten Sonderorganisation übertragen wurde,
einer SS-artigen Formation, die über Mordkommandos gebot, denen Gendarmen der
Provinzpolizei, aber auch Strafhäftlinge angehörten, die der Staat mit der Lizenz zum Töten
vorzeitig aus der Haft entlassen hatte.
In einer Reihe von Prozessen, die gegen führende türkische Politiker angestrengt worden
waren, mit dem Ziel, den Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkrieges zu
untersuchen und die Verantwortlichen zu bestrafen, wurde bereits 1919/20 vor dem
Kriegsgericht in Istanbul der juristische Nachweis der staatlichen Planung und Organisation
der Vernichtung eines gesamten Volkes, erbracht. Diese Istanbuler – Prozesse kamen durch
Druck der alliierten Mächte zustande, die damit einen ersten Schritt unternahmen,
Menschenrechtsprinzipien mit Hilfe einer internationalen Strafgerichtsbarkeit zur Geltung zu
verhelfen.
Seit 1965 haben über 21 Staaten, das Europäische Parlament, der Europarat, die durch den
osmanischen Staat begangenen Deportationen und Massaker der Jahre 1915–1917 offiziell
als Genozid entsprechend der UN-Völkermordkonvention von 1948 als historische Tatsache
anerkannt und verurteilt.
Die Taten sind daher nicht von einer Historikerkommission zu untersuchen, sondern von der
internationalen Gemeinschaft, aber im Besonderen von der Rechtsnachfolgerin des
Osmanischen Reiches, der heutigen Türkei, durch Anerkennung zu verurteilen. Gleiches gilt
für den damaligen Verbündeten des Osmanischen Reiches bzw. dessen Rechtsnachfolger,
die heutige Bundesrepublik Deutschland.
Spricht sich die Bundesregierung in Einklang mit Ankara für die Notwendigkeit einer
Untersuchungskommission aus, stellt sie das Leid der armenischen Bevölkerung als
fragwürdig, gar unglaubhaft dar.
Mit dem Ruf nach einer historischen Untersuchung wird der wichtigste Aspekt
stillschweigend, fast unbemerkt unterschlagen: Die Frage, ob besagte Übergriffe und
Massaker im Osmanischen Reich als Völkermord, und damit als Straftat nach
internationalem Recht zu beurteilen sind, ist definitiv keine historische mehr. Durch die
Parlamente und Regierungen der internationalen Gemeinschaft ist lediglich unter
Anwendung juristischer Arbeitsmethoden festzustellen, dass die vorgeworfenen Handlungen
den Straftatbestand des Art. II der UN-Übereinkommens von 18. Dezember 1948 erfüllen.
Nun ist die Bundesrepublik Deutschland aufgefordert sich dieser Aufgabe zu stellen – aus
Respekt vor der eigenen Vergangenheit und den Menschenrechten, vor allem aber auch
unabhängig von politischen Zweckmäßigkeiten.
Schließlich erweckt die Türkei mit ihrer Forderung nach einer unabhängigen Kommission
nicht wirklich den Eindruck der Aufrichtigkeit: Ein Premierminister, der durchgreifend die
Faktizität des Genozids bestreitet, kann keine Untersuchungskommission befürworten,
deren Untersuchungsergebnis seiner Genozid-Diplomatie die Grundlage nimmt.
Die Unseriösität der türkischen Bemühungen zur Aufarbeitung der eigenen Geschichte zeigt
auch das tragische Schicksal des armenischen Journalisten Hrant Dink. Dink hat sich für
Versöhnung eingesetzt. Ihm ging es nicht um eine Schuldzuweisung, sondern um die ehrliche
Aufarbeitung der Geschehnisse, um den in der heutigen Türkei lebenden Gemeinschaften
von Türken und Armeniern eine Versöhnung zu ermöglichen. Seine Leistungen wurden mit
dem Tod bestraft.
Die schleppenden Ermittlungen staatlichen Behörden zeigten auf, dass nationalistische
Kräfte und Teile des Militärs hinter dem jugendlichen Mörder des Journalisten standen. Die
Befürchtung, dass rechtskräftige Verurteilungen auf sich warten lassen werden, drängt sich
auf.
Dass die von der türkischen Regierung bevorzugte Historikerkommission nur eine einzige
Aufgabe haben kann, nämlich die scheinbare Widerlegung vorliegender Beweise, um der
Leugnung eine Rechtfertigung zu verschaffen, ist offensichtlich.
Die Türkei zieht ihr Botschafter zurück, sobald ein unabhängiger Staat sich wagt, mit der sog.
Armenier-Frage zu beschäftigen. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sagt
Staatsbesuche ab und erklärt öffentlich, er könne armenische Bürger aufgrund mangelnder
Aufenthaltserlaubnis deportieren.
Selbstverständlich wird sich der Premierminister der Türkei nicht wagen, diese Drohung zu
verwirklichen. Auch sind die von Erdogan genannten Zahlen von 100.000 illegalen Armeniern
alles andere als richtig.
Ziel dieser Drohgebärde ist jedoch nicht ihre Realisierung, sondern Agitation und
Propaganda, v.a. im eigenen Land. Solche rassistischen, anti-armenischen Äußerungen
machen alle in der Türkei lebenden Armenier, unabhängig ihrer Staatsangehörigkeit, zur
Zielscheibe. Die Botschaft lautet: Das Türkentum lässt sich nicht kritisieren und kommt
seinen Kritikern zuvor! Hiermit nährt der Premierminister eines Staates nationalistische
Stimmen seines Landes und zeigt alles andere als Versöhnungsabsichten.
Die Illegalität des Aufenthaltes vermag die rassistische Äußerung des Premierministers nicht
zu rechtfertigen. Wollte die Türkei tatsächlich gegen illegale Einwanderung vorgehen, und
auf den positiv ökonomischen Effekt einer billigen und rechtlosen Arbeiterschaft verzichten,
so dürfte sie ihre Maßnahmen nicht an der Ethnie einer einzigen Gruppe festmachen. Sie
müsste Maßnahmen ergreifen, die sich allein nach der Illegalität der Einwanderung richten,
unabhängig von der Herkunft des Betroffenen.
Dass ein Premierminister, dessen Staatsbürger in Millionen als Flüchtlinge und Migranten in
Europäischen Ländern leben, und dessen Staat eine Mitgliedschaft in der Europäischen
Union anstrebt, sich unverhohlen rassistisch äußern darf, ist erschreckend.
Die Systematik der türkischen Genozid-Diplomatie zeigt sich auch bei dem türkischen
Außenminister Ahmet Davutoglu. Dieser droht ungeniert, Versuche der internationalen
Gemeinschaft die Geschehnisse als Völkermord zu qualifizieren, könnten den sog.
Versöhnungsprozess behindern.
Wieso darf Ankara die Voraussetzungen für die Versöhnungen bestimmen und fordern, dass
nicht nur Armenien und andere Staaten der internationalen Gemeinschaft von dem
Standpunkt des Genozides abrücken? Ist das Anlegen eines Maulkorbes der türkische Beitrag
zur Versöhnung? Seit wann hängt die Beurteilung geschichtlicher Ereignisse von der
politischen Bekömmlichkeit der Gegenwart ab?
Wieso setzt die Türkei für die Normalisierung der Verhältnisse voraus, dass sich Armenien
aus Berg-Karabach zurückzieht? Sie hat es sich zur Doktrin gemacht im Berg-Karabach-
Konflikt auf der Seite Aserbaidschans zu stehen. Unter dem Vorwand, die Versöhnung mit
Armenien anzustreben, mischt sie sich in fremde Konflikte und behindert selbst jeden
Versuch einer Versöhnung.
Wieso wird ein iranischer Präsident für den Ruf nach einer Historikerkommission, wenn auch
zu recht, auf schärfste verurteilt, während der türkische Premier und seine Minister für die
gleiche Forderung gelobt werden. Dass die Türkei derzeit versucht sich als Vermittler
zwischen der westlichen und der islamischen Welt verdient zu machen, darf als Begründung
für diese Ungleichbehandlung nicht ausreichen.
Seit wann darf der Nachkomme des Täters die Bedingungen seiner bevorstehenden
Verhandlung durch geopolitische Zweckmäßigkeiten diktieren? Wäre der Holocaust an den
Juden im Dritten Reich kein Völkermord, wenn Deutschland nach und trotz dieser Ereignisse
strategisch von besonderer Bedeutung gewesen wäre? Hätte man eine Versöhnung ohne
Anerkennung einer Schuld erreichen können?
Ein Vertragspartner, der im Nachhinein Bedingungen setzt, um seiner vertraglichen
Verpflichtung zu entgehen, der sich propagandistischer Äußerungen bedient, um seinem
eigenen Volk gegenüber Stärke zu demonstrieren, verspielt die Chance auf eine
vertrauensvolle, internationale Zusammenarbeit.
Ein Premier, der in Ankara am 19.03.2010, öffentlich erklärt, der bevorstehende 95.
Jahrestag sei der Jahrestag einer der wenigen Siege des türkische Militärs im ersten
Weltkrieg, muss öffentlich verurteilt werden.
Die leidvolle Geschichte des armenischen Volkes wird zum Spielball der Nationen, die eine
verfängliche Versöhnung anstreben. Unverzichtbare Voraussetzung einer Versöhnung ist
Anerkennung von Schuld, die Anerkennung der Faktizität. Erst dann besteht eine
Verhandlungsgrundlage für eine echte Versöhnung.
Die Gedenkkultur hat einen unschätzbaren Wert in Europa. Die Bundesregierung sollte
tunlichst vermeiden ein so wertvolles Gut feilzubieten.
Wir rufen die Bundesregierung und den Bundestag auf, das wichtigste Anliegen der
armenischen Diaspora in Deutschland mit 60.000 Mitgliedern ernst zu nehmen.
Wir fordern von Bundesregierung und Bundestag, den Genozid an den Armeniern aufrichtig
anzuerkennen.
Wir rufen die Bundesregierung und den Bundestag aber auch auf, die Türkei öffentlich
auffordern, den an der armenischen Bevölkerung des Osmanischen Reiches verübten
Genozid als historische Tatsache anzuerkennen und die Dinge beim Namen zu nennen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Raffi Bedikian
Assembly of Armenians of Europe
15.04.2010
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