June 6, 2023

ԵՎՐՈՊԱՅԻ ՀԱՅԵՐԻ ՀԱՄԱԳՈՒՄԱՐ

press releas

to :

Bundeskanzleramt Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel Willy-Brandt-Straße 1 10557 Berlin

BundeskanzleramtFrau Bundeskanzlerin Angela MerkelWilly-Brandt-Straße 110557 Berlin

to:

Auswärtiges Amt

Frau Staatsministerin Cornelia Pieper

11013 Berlin

Assembly of Armenians of Europe

to:

Deutscher Bundestag

Platz der Republik 1

11011 Berlin

ASSEMBLY OF ARMENIANS OF EUROPE (AAE)

ԵՎՐՈՊԱՅԻ ՀԱՅԵՐԻ ՀԱՄԱԳՈՒՄԱՐ (ԵՀՀ

press releas

Assembly of Armenians of Europe

Garo Hakopian

Box. 25 106, 75025 Uppsala, SWEDEN

Ansprechpartner Deutschland :

Dr. Raffi Bedikian

Oststrasse 143

46539 Dinslaken

E-Mail: bedikian2001@yahoo.de

Auswärtiges Amt

Frau Staatsministerin Cornelia Pieper

11013 Berlin

Offener Brief an das Bundeskanzleramt, den Bundestag und das Auswärtige Amt

Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich

Sehr geehrte Frau Staatsministerin Pieper,

anlässlich des bevorstehenden 95. Jahrestages des Völkermordes an den Armeniern im

Osmanischen Reich und der damit zusammenhängenden Antwort der Bundesregierung auf

die Kleine Anfrage der Partei DieLinke. (BT-Drs. 17/687 vom 10.02.2010) möchten wir uns,

die Assembly of Armenians of Europe (AAE), an Sie wenden.

Die Bundestags-Drucksache 15/5689 aus dem Jahre 2005 wurde von den in Deutschland

lebenden Armeniern begrüßt. Auch wenn die Begriffe „Genozid“ bzw. „Völkermord“ nicht

verwendet worden waren, so sah man doch in der Annahme des Antrages von CDU/CSU,

SPD, FDP und Grüne/Bündnis 90 die Verurteilung von staatlich gelenktem Unrecht, da der

Bundestag die Taten der jungtürkischen Regierung des Osmanischen Reiches, die zur fast

vollständigen Vernichtung der Armenier in Anatolien geführt haben, beklagte.

Nach der neuesten Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Partei DieLinke.

drängt sich bei uns Armeniern jedoch der Verdacht auf, dass man bereits seinerzeit gewisse

Begrifflichkeiten vermieden hat, um sich einen Notausgang offen zu halten. Man erfreute die

Armenier, ohne die türkische Regierung oder die hier lebenden türkischen Migranten allzu

sehr zu verärgern. Man sprach sogar für eine Untersuchungskommission, die die

Geschehnisse prüfen und neu bewerten sollte, aus. Ganz im Sinne der türkischen Regierung,

also der Rechtsnachfolgerin der Täter.

Die Bundesregierung lässt sich in ihrer aktuellen Stellungnahme (BT-Drs. 17/687 vom

10.02.2010) vorschnell dazu verleiten, die zivilen Aktionen bezüglich der Aufarbeitung der

Geschichte in der Türkei gutzuheißen. Sie blendet die eigentliche Zielrichtung der Fragen aus

und ignoriert, dass es dem Fragesteller um die Maßnahmen zur Anerkennung eines

bestimmten Völkermordes geht. Vielmehr äußert sie sich über die aktuelle Lage der Türkei in

Bezug auf Reform- und Demokratisierungsprozesses und betont, dass sich die

Bundesregierung für eine Verbesserung der Situation in der Türkei einsetze.

Es geht den Fragestellern ebenso wie der den Armeniern, als Betroffene dieser

geschichtlichen Ereignisse, nicht um eine Verbesserung der Situation in der Türkei, es geht

v.a. um Anerkennung einer Straftat und der Herstellung der Würde seiner Verstorbenen.

Ausdrücklich gelobt wird die Internet-Petition, die eine knapp formulierte Entschuldigung

beinhaltet, in welcher der Begriff „Völkermord“, ganz im Sinne der türkischen Regierung

vermieden wird.

Recep Tayyip Erdogans scheinbare Ablehnung der Kampagne diente der Wahrung einer

Kulisse, während er sich im klaren darüber war, dass die Unterschriften-Aktion das positive

Image einer demokratischen, offenen Türkei untermalte. Der türkische Machtapparat

spendete keinen Trost, übernahm keine Verantwortung, sondern bereicherte sich ein

weiteres Mal an dem Leid der Opfer. Die Aktion, die scheinbar den Nachkommen der Opfer

galt, entpuppte sich als trojanisches Pferd.

Ein weiteres Beispiel für eine scheinbare Verbesserung der Bereitschaft sich der eigenen

Geschichte zu stellen ist der des Artikel 301 des türkischen Strafgesetzbuches. Die Änderung

des Artikels wird in der Antwort der Bundesregierung ebenfalls unbedacht positiv beurteilt.

Inwieweit ist die geringfügige Änderung des Strafrahmens von Bedeutung, wenn der

Straftatbestand an sich unverändert existiert und weiterhin im Widerspruch zu Art. 10 der

europäischen Menschenrechtskonvention steht?

Die Antwort der Bundesregierung übersieht, dass die Grundrechte einer prinzipiellen

Beschränkung unterliegen und allesamt unter dem faktischen Vorbehalt, dass die Familie,

das Land, das Türkentum nicht beschädigt werden, gelten. Diesen nationalistischen

Grundgedanken möchte kein Mandatsträger der Türkei antasten.

Darüber hinaus mussten wir erfahren, dass die Bundesregierung ein Projekt des Instituts für

internationale Zusammenarbeit des deutschen Volkshochschulverbandes (dvv-international)

finanziell unterstütze, in dessen Rahmen Studenten zusammenkämen und sich mit der

Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte auseinandersetzen.

Dass sich einzelne aus der Zivilbevölkerung entschuldigen, ist nicht gleichzusetzen mit der

Anerkennung des Völkermordes durch die Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reiches, der

heutigen Türkei. Übersieht die Bundesregierung hier tatsächlich, dass die Anerkennung eines

Genozids nicht vorrangig eine Angelegenheit der Zivilbevölkerung, geschweige den eine von

Studenten ist? Hier sollte die türkische Regierung gefordert werden vorrangig zur Tat zu

schreiten!

Tragisch endet die Stellungnahme der Bundesregierung mit den Worten, die Aufarbeitung

der Ereignisse von 1915 / 16 sei in erster Linie Sache der beiden betroffenen Länder. Sollen

demnach die Nachkommen der Täter und Opfer selbst ihr eigenes Problem lösen?

Interessiert sich die Bundesregierung lediglich für die Annäherung dieser Staaten aufgrund

der unterzeichneten Protokolle – selbst wenn in diesem Projekt einer der Beteiligten den

Preis der Verhöhnung der 1,5 Millionen Opfer zahlen müsste?

Im Gegensatz zur Bundestags-Drucksache 15/5689 aus dem Jahre 2005 übersieht Frau

Cornelia Pieper, dass das Deutsche Reich im Ersten Weltkrieg mit der jungtürkischen

Regierung verbündet war, dass deutsche Offiziere und Generäle im Osmanischen Heer

dienten und, dass Berlin zum schweigenden Komplizen wurde. Auf die Berichte seines

empörten Botschafters in Istanbul antwortete der deutsche Reichskanzler Bethmann-

Hollweg: “Unser einziges Ziel war, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu

halten, gleichgültig, ob darüber Armenier zugrunde gingen oder nicht.”

Die Anerkennung des Völkermordes unter expliziter Verwendung dieses juristischen

Begriffes ist eben nicht allein Sache des türkischen und armenischen Staates. Hätte jemand

sich nach Ende des Dritten Reiches gewagt eine ähnliche Empfehlung wie Frau Cornelia

Pieper auszusprechen?

Wir sollen über unsere Verstorbenen hinwegsehen, damit wir alle unseren Beitrag zum

Frieden leisten. Ein Frieden wäre jedoch eher möglich, wenn die Rechtsnachfolgerin des

Osmanischen Reiches endlich Ehrgefühl zeigen und zu ihrer Geschichte stehen würde.

Die Faktizität des Völkermordes an den Armeniern im Osmanischen Reich darf nicht zum

Spielball verschiedenster politischer Interessen gemacht werden. Es ist von einem –

allgemein bekannten – internationalen Konsens über die Tatsächlichkeit des Genozids

auszugehen. Klärungsbedarf existiert nicht.

Die Jungtürken des Osmanischen Reiches töteten Mitglieder der religiös-ethnischen Gruppe

der Armenier in der Absicht, diese religiös-ethnische Gruppe als solche zu vernichten.

Armenier des osmanischen Reiches haben damit ohne persönliche Schuld allein aufgrund

ihrer Abstammung durch staatlich organisierte und gelenkte Gewaltmaßnahmen auf

grausame Weise ihr Leben verloren. Die Geschehnisse im Osmanischen Reich sind, durch

Erfüllung sämtlicher – lediglich alternativ gesetzter – Voraussetzungen des Art. II der UNVölkermordkonvention

vom 18. Dezember 1948, juristisch unstreitig als Völkermord zu

qualifizieren.

Dokumente aus dem politischen Archiv des Auswärtigen Amtes des Deutschen Reiches, aus

den Archiven Österreich-Ungarns, aus dem Nationalarchiv der USA, Augenzeugenberichte

von im Osmanischen Reich tätigen Missionaren, Video-Zeugnisse von Überlebenden,

Nachkriegsbestände des armenischen Patriarchats von Konstantinopel, aber auch

osmanische Quellen, wie z.B. im amtlichen Gesetzblatt des Osmanischen Reiches gedruckte

Protokolle der Istanbuler Prozesse, Sitzungsprotokolle des osmanischen Parlamentes,

Berichte der postjungtürkischen parlamentarischen Untersuchungskommission und der

sogenannten Mazhar-Kommission sowie alte osmanische Zeitungen, beschreiben, was in den

einzelnen Provinzen des Osmanischen Reiches geschah.

Diese Dokumente belegen v.a., dass die Ittihad-Partei die Kader für die Vernichtung stellte,

deren technische Durchführung der sogenannten Sonderorganisation übertragen wurde,

einer SS-artigen Formation, die über Mordkommandos gebot, denen Gendarmen der

Provinzpolizei, aber auch Strafhäftlinge angehörten, die der Staat mit der Lizenz zum Töten

vorzeitig aus der Haft entlassen hatte.

In einer Reihe von Prozessen, die gegen führende türkische Politiker angestrengt worden

waren, mit dem Ziel, den Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkrieges zu

untersuchen und die Verantwortlichen zu bestrafen, wurde bereits 1919/20 vor dem

Kriegsgericht in Istanbul der juristische Nachweis der staatlichen Planung und Organisation

der Vernichtung eines gesamten Volkes, erbracht. Diese Istanbuler – Prozesse kamen durch

Druck der alliierten Mächte zustande, die damit einen ersten Schritt unternahmen,

Menschenrechtsprinzipien mit Hilfe einer internationalen Strafgerichtsbarkeit zur Geltung zu

verhelfen.

Seit 1965 haben über 21 Staaten, das Europäische Parlament, der Europarat, die durch den

osmanischen Staat begangenen Deportationen und Massaker der Jahre 1915–1917 offiziell

als Genozid entsprechend der UN-Völkermordkonvention von 1948 als historische Tatsache

anerkannt und verurteilt.

Die Taten sind daher nicht von einer Historikerkommission zu untersuchen, sondern von der

internationalen Gemeinschaft, aber im Besonderen von der Rechtsnachfolgerin des

Osmanischen Reiches, der heutigen Türkei, durch Anerkennung zu verurteilen. Gleiches gilt

für den damaligen Verbündeten des Osmanischen Reiches bzw. dessen Rechtsnachfolger,

die heutige Bundesrepublik Deutschland.

Spricht sich die Bundesregierung in Einklang mit Ankara für die Notwendigkeit einer

Untersuchungskommission aus, stellt sie das Leid der armenischen Bevölkerung als

fragwürdig, gar unglaubhaft dar.

Mit dem Ruf nach einer historischen Untersuchung wird der wichtigste Aspekt

stillschweigend, fast unbemerkt unterschlagen: Die Frage, ob besagte Übergriffe und

Massaker im Osmanischen Reich als Völkermord, und damit als Straftat nach

internationalem Recht zu beurteilen sind, ist definitiv keine historische mehr. Durch die

Parlamente und Regierungen der internationalen Gemeinschaft ist lediglich unter

Anwendung juristischer Arbeitsmethoden festzustellen, dass die vorgeworfenen Handlungen

den Straftatbestand des Art. II der UN-Übereinkommens von 18. Dezember 1948 erfüllen.

Nun ist die Bundesrepublik Deutschland aufgefordert sich dieser Aufgabe zu stellen – aus

Respekt vor der eigenen Vergangenheit und den Menschenrechten, vor allem aber auch

unabhängig von politischen Zweckmäßigkeiten.

Schließlich erweckt die Türkei mit ihrer Forderung nach einer unabhängigen Kommission

nicht wirklich den Eindruck der Aufrichtigkeit: Ein Premierminister, der durchgreifend die

Faktizität des Genozids bestreitet, kann keine Untersuchungskommission befürworten,

deren Untersuchungsergebnis seiner Genozid-Diplomatie die Grundlage nimmt.

Die Unseriösität der türkischen Bemühungen zur Aufarbeitung der eigenen Geschichte zeigt

auch das tragische Schicksal des armenischen Journalisten Hrant Dink. Dink hat sich für

Versöhnung eingesetzt. Ihm ging es nicht um eine Schuldzuweisung, sondern um die ehrliche

Aufarbeitung der Geschehnisse, um den in der heutigen Türkei lebenden Gemeinschaften

von Türken und Armeniern eine Versöhnung zu ermöglichen. Seine Leistungen wurden mit

dem Tod bestraft.

Die schleppenden Ermittlungen staatlichen Behörden zeigten auf, dass nationalistische

Kräfte und Teile des Militärs hinter dem jugendlichen Mörder des Journalisten standen. Die

Befürchtung, dass rechtskräftige Verurteilungen auf sich warten lassen werden, drängt sich

auf.

Dass die von der türkischen Regierung bevorzugte Historikerkommission nur eine einzige

Aufgabe haben kann, nämlich die scheinbare Widerlegung vorliegender Beweise, um der

Leugnung eine Rechtfertigung zu verschaffen, ist offensichtlich.

Die Türkei zieht ihr Botschafter zurück, sobald ein unabhängiger Staat sich wagt, mit der sog.

Armenier-Frage zu beschäftigen. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sagt

Staatsbesuche ab und erklärt öffentlich, er könne armenische Bürger aufgrund mangelnder

Aufenthaltserlaubnis deportieren.

Selbstverständlich wird sich der Premierminister der Türkei nicht wagen, diese Drohung zu

verwirklichen. Auch sind die von Erdogan genannten Zahlen von 100.000 illegalen Armeniern

alles andere als richtig.

Ziel dieser Drohgebärde ist jedoch nicht ihre Realisierung, sondern Agitation und

Propaganda, v.a. im eigenen Land. Solche rassistischen, anti-armenischen Äußerungen

machen alle in der Türkei lebenden Armenier, unabhängig ihrer Staatsangehörigkeit, zur

Zielscheibe. Die Botschaft lautet: Das Türkentum lässt sich nicht kritisieren und kommt

seinen Kritikern zuvor! Hiermit nährt der Premierminister eines Staates nationalistische

Stimmen seines Landes und zeigt alles andere als Versöhnungsabsichten.

Die Illegalität des Aufenthaltes vermag die rassistische Äußerung des Premierministers nicht

zu rechtfertigen. Wollte die Türkei tatsächlich gegen illegale Einwanderung vorgehen, und

auf den positiv ökonomischen Effekt einer billigen und rechtlosen Arbeiterschaft verzichten,

so dürfte sie ihre Maßnahmen nicht an der Ethnie einer einzigen Gruppe festmachen. Sie

müsste Maßnahmen ergreifen, die sich allein nach der Illegalität der Einwanderung richten,

unabhängig von der Herkunft des Betroffenen.

Dass ein Premierminister, dessen Staatsbürger in Millionen als Flüchtlinge und Migranten in

Europäischen Ländern leben, und dessen Staat eine Mitgliedschaft in der Europäischen

Union anstrebt, sich unverhohlen rassistisch äußern darf, ist erschreckend.

Die Systematik der türkischen Genozid-Diplomatie zeigt sich auch bei dem türkischen

Außenminister Ahmet Davutoglu. Dieser droht ungeniert, Versuche der internationalen

Gemeinschaft die Geschehnisse als Völkermord zu qualifizieren, könnten den sog.

Versöhnungsprozess behindern.

Wieso darf Ankara die Voraussetzungen für die Versöhnungen bestimmen und fordern, dass

nicht nur Armenien und andere Staaten der internationalen Gemeinschaft von dem

Standpunkt des Genozides abrücken? Ist das Anlegen eines Maulkorbes der türkische Beitrag

zur Versöhnung? Seit wann hängt die Beurteilung geschichtlicher Ereignisse von der

politischen Bekömmlichkeit der Gegenwart ab?

Wieso setzt die Türkei für die Normalisierung der Verhältnisse voraus, dass sich Armenien

aus Berg-Karabach zurückzieht? Sie hat es sich zur Doktrin gemacht im Berg-Karabach-

Konflikt auf der Seite Aserbaidschans zu stehen. Unter dem Vorwand, die Versöhnung mit

Armenien anzustreben, mischt sie sich in fremde Konflikte und behindert selbst jeden

Versuch einer Versöhnung.

Wieso wird ein iranischer Präsident für den Ruf nach einer Historikerkommission, wenn auch

zu recht, auf schärfste verurteilt, während der türkische Premier und seine Minister für die

gleiche Forderung gelobt werden. Dass die Türkei derzeit versucht sich als Vermittler

zwischen der westlichen und der islamischen Welt verdient zu machen, darf als Begründung

für diese Ungleichbehandlung nicht ausreichen.

Seit wann darf der Nachkomme des Täters die Bedingungen seiner bevorstehenden

Verhandlung durch geopolitische Zweckmäßigkeiten diktieren? Wäre der Holocaust an den

Juden im Dritten Reich kein Völkermord, wenn Deutschland nach und trotz dieser Ereignisse

strategisch von besonderer Bedeutung gewesen wäre? Hätte man eine Versöhnung ohne

Anerkennung einer Schuld erreichen können?

Ein Vertragspartner, der im Nachhinein Bedingungen setzt, um seiner vertraglichen

Verpflichtung zu entgehen, der sich propagandistischer Äußerungen bedient, um seinem

eigenen Volk gegenüber Stärke zu demonstrieren, verspielt die Chance auf eine

vertrauensvolle, internationale Zusammenarbeit.

Ein Premier, der in Ankara am 19.03.2010, öffentlich erklärt, der bevorstehende 95.

Jahrestag sei der Jahrestag einer der wenigen Siege des türkische Militärs im ersten

Weltkrieg, muss öffentlich verurteilt werden.

Die leidvolle Geschichte des armenischen Volkes wird zum Spielball der Nationen, die eine

verfängliche Versöhnung anstreben. Unverzichtbare Voraussetzung einer Versöhnung ist

Anerkennung von Schuld, die Anerkennung der Faktizität. Erst dann besteht eine

Verhandlungsgrundlage für eine echte Versöhnung.

Die Gedenkkultur hat einen unschätzbaren Wert in Europa. Die Bundesregierung sollte

tunlichst vermeiden ein so wertvolles Gut feilzubieten.

Wir rufen die Bundesregierung und den Bundestag auf, das wichtigste Anliegen der

armenischen Diaspora in Deutschland mit 60.000 Mitgliedern ernst zu nehmen.

Wir fordern von Bundesregierung und Bundestag, den Genozid an den Armeniern aufrichtig

anzuerkennen.

Wir rufen die Bundesregierung und den Bundestag aber auch auf, die Türkei öffentlich

auffordern, den an der armenischen Bevölkerung des Osmanischen Reiches verübten

Genozid als historische Tatsache anzuerkennen und die Dinge beim Namen zu nennen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Raffi Bedikian

Assembly of Armenians of Europe

15.04.2010

press releas

to :

Bundeskanzleramt Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel Willy-Brandt-Straße 1 10557 Berlin

BundeskanzleramtFrau Bundeskanzlerin Angela MerkelWilly-Brandt-Straße 110557 Berlin

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Auswärtiges Amt

Frau Staatsministerin Cornelia Pieper

11013 Berlin

Assembly of Armenians of Europe

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Deutscher Bundestag

Platz der Republik 1

11011 Berlin

ASSEMBLY OF ARMENIANS OF EUROPE (AAE)

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Box. 25 106, 75025 Uppsala, SWEDEN

Ansprechpartner Deutschland :

Dr. Raffi Bedikian

Oststrasse 143

46539 Dinslaken

E-Mail: bedikian2001@yahoo.de

Auswärtiges Amt

Frau Staatsministerin Cornelia Pieper

11013 Berlin

Offener Brief an das Bundeskanzleramt, den Bundestag und das Auswärtige Amt

Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich

Sehr geehrte Frau Staatsministerin Pieper,

anlässlich des bevorstehenden 95. Jahrestages des Völkermordes an den Armeniern im

Osmanischen Reich und der damit zusammenhängenden Antwort der Bundesregierung auf

die Kleine Anfrage der Partei DieLinke. (BT-Drs. 17/687 vom 10.02.2010) möchten wir uns,

die Assembly of Armenians of Europe (AAE), an Sie wenden.

Die Bundestags-Drucksache 15/5689 aus dem Jahre 2005 wurde von den in Deutschland

lebenden Armeniern begrüßt. Auch wenn die Begriffe „Genozid“ bzw. „Völkermord“ nicht

verwendet worden waren, so sah man doch in der Annahme des Antrages von CDU/CSU,

SPD, FDP und Grüne/Bündnis 90 die Verurteilung von staatlich gelenktem Unrecht, da der

Bundestag die Taten der jungtürkischen Regierung des Osmanischen Reiches, die zur fast

vollständigen Vernichtung der Armenier in Anatolien geführt haben, beklagte.

Nach der neuesten Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Partei DieLinke.

drängt sich bei uns Armeniern jedoch der Verdacht auf, dass man bereits seinerzeit gewisse

Begrifflichkeiten vermieden hat, um sich einen Notausgang offen zu halten. Man erfreute die

Armenier, ohne die türkische Regierung oder die hier lebenden türkischen Migranten allzu

sehr zu verärgern. Man sprach sogar für eine Untersuchungskommission, die die

Geschehnisse prüfen und neu bewerten sollte, aus. Ganz im Sinne der türkischen Regierung,

also der Rechtsnachfolgerin der Täter.

Die Bundesregierung lässt sich in ihrer aktuellen Stellungnahme (BT-Drs. 17/687 vom

10.02.2010) vorschnell dazu verleiten, die zivilen Aktionen bezüglich der Aufarbeitung der

Geschichte in der Türkei gutzuheißen. Sie blendet die eigentliche Zielrichtung der Fragen aus

und ignoriert, dass es dem Fragesteller um die Maßnahmen zur Anerkennung eines

bestimmten Völkermordes geht. Vielmehr äußert sie sich über die aktuelle Lage der Türkei in

Bezug auf Reform- und Demokratisierungsprozesses und betont, dass sich die

Bundesregierung für eine Verbesserung der Situation in der Türkei einsetze.

Es geht den Fragestellern ebenso wie der den Armeniern, als Betroffene dieser

geschichtlichen Ereignisse, nicht um eine Verbesserung der Situation in der Türkei, es geht

v.a. um Anerkennung einer Straftat und der Herstellung der Würde seiner Verstorbenen.

Ausdrücklich gelobt wird die Internet-Petition, die eine knapp formulierte Entschuldigung

beinhaltet, in welcher der Begriff „Völkermord“, ganz im Sinne der türkischen Regierung

vermieden wird.

Recep Tayyip Erdogans scheinbare Ablehnung der Kampagne diente der Wahrung einer

Kulisse, während er sich im klaren darüber war, dass die Unterschriften-Aktion das positive

Image einer demokratischen, offenen Türkei untermalte. Der türkische Machtapparat

spendete keinen Trost, übernahm keine Verantwortung, sondern bereicherte sich ein

weiteres Mal an dem Leid der Opfer. Die Aktion, die scheinbar den Nachkommen der Opfer

galt, entpuppte sich als trojanisches Pferd.

Ein weiteres Beispiel für eine scheinbare Verbesserung der Bereitschaft sich der eigenen

Geschichte zu stellen ist der des Artikel 301 des türkischen Strafgesetzbuches. Die Änderung

des Artikels wird in der Antwort der Bundesregierung ebenfalls unbedacht positiv beurteilt.

Inwieweit ist die geringfügige Änderung des Strafrahmens von Bedeutung, wenn der

Straftatbestand an sich unverändert existiert und weiterhin im Widerspruch zu Art. 10 der

europäischen Menschenrechtskonvention steht?

Die Antwort der Bundesregierung übersieht, dass die Grundrechte einer prinzipiellen

Beschränkung unterliegen und allesamt unter dem faktischen Vorbehalt, dass die Familie,

das Land, das Türkentum nicht beschädigt werden, gelten. Diesen nationalistischen

Grundgedanken möchte kein Mandatsträger der Türkei antasten.

Darüber hinaus mussten wir erfahren, dass die Bundesregierung ein Projekt des Instituts für

internationale Zusammenarbeit des deutschen Volkshochschulverbandes (dvv-international)

finanziell unterstütze, in dessen Rahmen Studenten zusammenkämen und sich mit der

Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte auseinandersetzen.

Dass sich einzelne aus der Zivilbevölkerung entschuldigen, ist nicht gleichzusetzen mit der

Anerkennung des Völkermordes durch die Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reiches, der

heutigen Türkei. Übersieht die Bundesregierung hier tatsächlich, dass die Anerkennung eines

Genozids nicht vorrangig eine Angelegenheit der Zivilbevölkerung, geschweige den eine von

Studenten ist? Hier sollte die türkische Regierung gefordert werden vorrangig zur Tat zu

schreiten!

Tragisch endet die Stellungnahme der Bundesregierung mit den Worten, die Aufarbeitung

der Ereignisse von 1915 / 16 sei in erster Linie Sache der beiden betroffenen Länder. Sollen

demnach die Nachkommen der Täter und Opfer selbst ihr eigenes Problem lösen?

Interessiert sich die Bundesregierung lediglich für die Annäherung dieser Staaten aufgrund

der unterzeichneten Protokolle – selbst wenn in diesem Projekt einer der Beteiligten den

Preis der Verhöhnung der 1,5 Millionen Opfer zahlen müsste?

Im Gegensatz zur Bundestags-Drucksache 15/5689 aus dem Jahre 2005 übersieht Frau

Cornelia Pieper, dass das Deutsche Reich im Ersten Weltkrieg mit der jungtürkischen

Regierung verbündet war, dass deutsche Offiziere und Generäle im Osmanischen Heer

dienten und, dass Berlin zum schweigenden Komplizen wurde. Auf die Berichte seines

empörten Botschafters in Istanbul antwortete der deutsche Reichskanzler Bethmann-

Hollweg: “Unser einziges Ziel war, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu

halten, gleichgültig, ob darüber Armenier zugrunde gingen oder nicht.”

Die Anerkennung des Völkermordes unter expliziter Verwendung dieses juristischen

Begriffes ist eben nicht allein Sache des türkischen und armenischen Staates. Hätte jemand

sich nach Ende des Dritten Reiches gewagt eine ähnliche Empfehlung wie Frau Cornelia

Pieper auszusprechen?

Wir sollen über unsere Verstorbenen hinwegsehen, damit wir alle unseren Beitrag zum

Frieden leisten. Ein Frieden wäre jedoch eher möglich, wenn die Rechtsnachfolgerin des

Osmanischen Reiches endlich Ehrgefühl zeigen und zu ihrer Geschichte stehen würde.

Die Faktizität des Völkermordes an den Armeniern im Osmanischen Reich darf nicht zum

Spielball verschiedenster politischer Interessen gemacht werden. Es ist von einem –

allgemein bekannten – internationalen Konsens über die Tatsächlichkeit des Genozids

auszugehen. Klärungsbedarf existiert nicht.

Die Jungtürken des Osmanischen Reiches töteten Mitglieder der religiös-ethnischen Gruppe

der Armenier in der Absicht, diese religiös-ethnische Gruppe als solche zu vernichten.

Armenier des osmanischen Reiches haben damit ohne persönliche Schuld allein aufgrund

ihrer Abstammung durch staatlich organisierte und gelenkte Gewaltmaßnahmen auf

grausame Weise ihr Leben verloren. Die Geschehnisse im Osmanischen Reich sind, durch

Erfüllung sämtlicher – lediglich alternativ gesetzter – Voraussetzungen des Art. II der UNVölkermordkonvention

vom 18. Dezember 1948, juristisch unstreitig als Völkermord zu

qualifizieren.

Dokumente aus dem politischen Archiv des Auswärtigen Amtes des Deutschen Reiches, aus

den Archiven Österreich-Ungarns, aus dem Nationalarchiv der USA, Augenzeugenberichte

von im Osmanischen Reich tätigen Missionaren, Video-Zeugnisse von Überlebenden,

Nachkriegsbestände des armenischen Patriarchats von Konstantinopel, aber auch

osmanische Quellen, wie z.B. im amtlichen Gesetzblatt des Osmanischen Reiches gedruckte

Protokolle der Istanbuler Prozesse, Sitzungsprotokolle des osmanischen Parlamentes,

Berichte der postjungtürkischen parlamentarischen Untersuchungskommission und der

sogenannten Mazhar-Kommission sowie alte osmanische Zeitungen, beschreiben, was in den

einzelnen Provinzen des Osmanischen Reiches geschah.

Diese Dokumente belegen v.a., dass die Ittihad-Partei die Kader für die Vernichtung stellte,

deren technische Durchführung der sogenannten Sonderorganisation übertragen wurde,

einer SS-artigen Formation, die über Mordkommandos gebot, denen Gendarmen der

Provinzpolizei, aber auch Strafhäftlinge angehörten, die der Staat mit der Lizenz zum Töten

vorzeitig aus der Haft entlassen hatte.

In einer Reihe von Prozessen, die gegen führende türkische Politiker angestrengt worden

waren, mit dem Ziel, den Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkrieges zu

untersuchen und die Verantwortlichen zu bestrafen, wurde bereits 1919/20 vor dem

Kriegsgericht in Istanbul der juristische Nachweis der staatlichen Planung und Organisation

der Vernichtung eines gesamten Volkes, erbracht. Diese Istanbuler – Prozesse kamen durch

Druck der alliierten Mächte zustande, die damit einen ersten Schritt unternahmen,

Menschenrechtsprinzipien mit Hilfe einer internationalen Strafgerichtsbarkeit zur Geltung zu

verhelfen.

Seit 1965 haben über 21 Staaten, das Europäische Parlament, der Europarat, die durch den

osmanischen Staat begangenen Deportationen und Massaker der Jahre 1915–1917 offiziell

als Genozid entsprechend der UN-Völkermordkonvention von 1948 als historische Tatsache

anerkannt und verurteilt.

Die Taten sind daher nicht von einer Historikerkommission zu untersuchen, sondern von der

internationalen Gemeinschaft, aber im Besonderen von der Rechtsnachfolgerin des

Osmanischen Reiches, der heutigen Türkei, durch Anerkennung zu verurteilen. Gleiches gilt

für den damaligen Verbündeten des Osmanischen Reiches bzw. dessen Rechtsnachfolger,

die heutige Bundesrepublik Deutschland.

Spricht sich die Bundesregierung in Einklang mit Ankara für die Notwendigkeit einer

Untersuchungskommission aus, stellt sie das Leid der armenischen Bevölkerung als

fragwürdig, gar unglaubhaft dar.

Mit dem Ruf nach einer historischen Untersuchung wird der wichtigste Aspekt

stillschweigend, fast unbemerkt unterschlagen: Die Frage, ob besagte Übergriffe und

Massaker im Osmanischen Reich als Völkermord, und damit als Straftat nach

internationalem Recht zu beurteilen sind, ist definitiv keine historische mehr. Durch die

Parlamente und Regierungen der internationalen Gemeinschaft ist lediglich unter

Anwendung juristischer Arbeitsmethoden festzustellen, dass die vorgeworfenen Handlungen

den Straftatbestand des Art. II der UN-Übereinkommens von 18. Dezember 1948 erfüllen.

Nun ist die Bundesrepublik Deutschland aufgefordert sich dieser Aufgabe zu stellen – aus

Respekt vor der eigenen Vergangenheit und den Menschenrechten, vor allem aber auch

unabhängig von politischen Zweckmäßigkeiten.

Schließlich erweckt die Türkei mit ihrer Forderung nach einer unabhängigen Kommission

nicht wirklich den Eindruck der Aufrichtigkeit: Ein Premierminister, der durchgreifend die

Faktizität des Genozids bestreitet, kann keine Untersuchungskommission befürworten,

deren Untersuchungsergebnis seiner Genozid-Diplomatie die Grundlage nimmt.

Die Unseriösität der türkischen Bemühungen zur Aufarbeitung der eigenen Geschichte zeigt

auch das tragische Schicksal des armenischen Journalisten Hrant Dink. Dink hat sich für

Versöhnung eingesetzt. Ihm ging es nicht um eine Schuldzuweisung, sondern um die ehrliche

Aufarbeitung der Geschehnisse, um den in der heutigen Türkei lebenden Gemeinschaften

von Türken und Armeniern eine Versöhnung zu ermöglichen. Seine Leistungen wurden mit

dem Tod bestraft.

Die schleppenden Ermittlungen staatlichen Behörden zeigten auf, dass nationalistische

Kräfte und Teile des Militärs hinter dem jugendlichen Mörder des Journalisten standen. Die

Befürchtung, dass rechtskräftige Verurteilungen auf sich warten lassen werden, drängt sich

auf.

Dass die von der türkischen Regierung bevorzugte Historikerkommission nur eine einzige

Aufgabe haben kann, nämlich die scheinbare Widerlegung vorliegender Beweise, um der

Leugnung eine Rechtfertigung zu verschaffen, ist offensichtlich.

Die Türkei zieht ihr Botschafter zurück, sobald ein unabhängiger Staat sich wagt, mit der sog.

Armenier-Frage zu beschäftigen. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sagt

Staatsbesuche ab und erklärt öffentlich, er könne armenische Bürger aufgrund mangelnder

Aufenthaltserlaubnis deportieren.

Selbstverständlich wird sich der Premierminister der Türkei nicht wagen, diese Drohung zu

verwirklichen. Auch sind die von Erdogan genannten Zahlen von 100.000 illegalen Armeniern

alles andere als richtig.

Ziel dieser Drohgebärde ist jedoch nicht ihre Realisierung, sondern Agitation und

Propaganda, v.a. im eigenen Land. Solche rassistischen, anti-armenischen Äußerungen

machen alle in der Türkei lebenden Armenier, unabhängig ihrer Staatsangehörigkeit, zur

Zielscheibe. Die Botschaft lautet: Das Türkentum lässt sich nicht kritisieren und kommt

seinen Kritikern zuvor! Hiermit nährt der Premierminister eines Staates nationalistische

Stimmen seines Landes und zeigt alles andere als Versöhnungsabsichten.

Die Illegalität des Aufenthaltes vermag die rassistische Äußerung des Premierministers nicht

zu rechtfertigen. Wollte die Türkei tatsächlich gegen illegale Einwanderung vorgehen, und

auf den positiv ökonomischen Effekt einer billigen und rechtlosen Arbeiterschaft verzichten,

so dürfte sie ihre Maßnahmen nicht an der Ethnie einer einzigen Gruppe festmachen. Sie

müsste Maßnahmen ergreifen, die sich allein nach der Illegalität der Einwanderung richten,

unabhängig von der Herkunft des Betroffenen.

Dass ein Premierminister, dessen Staatsbürger in Millionen als Flüchtlinge und Migranten in

Europäischen Ländern leben, und dessen Staat eine Mitgliedschaft in der Europäischen

Union anstrebt, sich unverhohlen rassistisch äußern darf, ist erschreckend.

Die Systematik der türkischen Genozid-Diplomatie zeigt sich auch bei dem türkischen

Außenminister Ahmet Davutoglu. Dieser droht ungeniert, Versuche der internationalen

Gemeinschaft die Geschehnisse als Völkermord zu qualifizieren, könnten den sog.

Versöhnungsprozess behindern.

Wieso darf Ankara die Voraussetzungen für die Versöhnungen bestimmen und fordern, dass

nicht nur Armenien und andere Staaten der internationalen Gemeinschaft von dem

Standpunkt des Genozides abrücken? Ist das Anlegen eines Maulkorbes der türkische Beitrag

zur Versöhnung? Seit wann hängt die Beurteilung geschichtlicher Ereignisse von der

politischen Bekömmlichkeit der Gegenwart ab?

Wieso setzt die Türkei für die Normalisierung der Verhältnisse voraus, dass sich Armenien

aus Berg-Karabach zurückzieht? Sie hat es sich zur Doktrin gemacht im Berg-Karabach-

Konflikt auf der Seite Aserbaidschans zu stehen. Unter dem Vorwand, die Versöhnung mit

Armenien anzustreben, mischt sie sich in fremde Konflikte und behindert selbst jeden

Versuch einer Versöhnung.

Wieso wird ein iranischer Präsident für den Ruf nach einer Historikerkommission, wenn auch

zu recht, auf schärfste verurteilt, während der türkische Premier und seine Minister für die

gleiche Forderung gelobt werden. Dass die Türkei derzeit versucht sich als Vermittler

zwischen der westlichen und der islamischen Welt verdient zu machen, darf als Begründung

für diese Ungleichbehandlung nicht ausreichen.

Seit wann darf der Nachkomme des Täters die Bedingungen seiner bevorstehenden

Verhandlung durch geopolitische Zweckmäßigkeiten diktieren? Wäre der Holocaust an den

Juden im Dritten Reich kein Völkermord, wenn Deutschland nach und trotz dieser Ereignisse

strategisch von besonderer Bedeutung gewesen wäre? Hätte man eine Versöhnung ohne

Anerkennung einer Schuld erreichen können?

Ein Vertragspartner, der im Nachhinein Bedingungen setzt, um seiner vertraglichen

Verpflichtung zu entgehen, der sich propagandistischer Äußerungen bedient, um seinem

eigenen Volk gegenüber Stärke zu demonstrieren, verspielt die Chance auf eine

vertrauensvolle, internationale Zusammenarbeit.

Ein Premier, der in Ankara am 19.03.2010, öffentlich erklärt, der bevorstehende 95.

Jahrestag sei der Jahrestag einer der wenigen Siege des türkische Militärs im ersten

Weltkrieg, muss öffentlich verurteilt werden.

Die leidvolle Geschichte des armenischen Volkes wird zum Spielball der Nationen, die eine

verfängliche Versöhnung anstreben. Unverzichtbare Voraussetzung einer Versöhnung ist

Anerkennung von Schuld, die Anerkennung der Faktizität. Erst dann besteht eine

Verhandlungsgrundlage für eine echte Versöhnung.

Die Gedenkkultur hat einen unschätzbaren Wert in Europa. Die Bundesregierung sollte

tunlichst vermeiden ein so wertvolles Gut feilzubieten.

Wir rufen die Bundesregierung und den Bundestag auf, das wichtigste Anliegen der

armenischen Diaspora in Deutschland mit 60.000 Mitgliedern ernst zu nehmen.

Wir fordern von Bundesregierung und Bundestag, den Genozid an den Armeniern aufrichtig

anzuerkennen.

Wir rufen die Bundesregierung und den Bundestag aber auch auf, die Türkei öffentlich

auffordern, den an der armenischen Bevölkerung des Osmanischen Reiches verübten

Genozid als historische Tatsache anzuerkennen und die Dinge beim Namen zu nennen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Raffi Bedikian

Assembly of Armenians of Europe

15.04.2010

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