In seinem historischen Monumentalwerk թ§Չ-ժԷJoseph und seine BrթԹԶderթ§Չ-ժ schreibt Thomas Mann թ§Չ-ժԷTief ist der Brunnen der Vergangenheitթ§Չ-ժ, es dreht sich alles um den biblischen Jakob im alten թՉgypten. Um FrթԹԶhzeit also: der Nil, der Pharao, sagenhaft alte Pyramiden.
Doch թԹԶber derart neumodische Geschichten kann man in Armenien nur schmunzeln. Dort hatte dieser Brunnen der Vergangenheit schon Tiefenecho, da waren Jakob und seine Sippe noch nicht einmal auf der Welt, und AltթԹ)gypten war Science-Fiction, eine Hochkultur der fernen Zukunft.
FթԹԶr Armenier fթԹ)ngt ihre Historie mit der Sintflut an, mit der Arche und ihrem Erbauer Noah. Genau diese Verankerung im Ururalten macht das Binnenland im Kaukasus zu einem der spannendsten Reiseziele am Rande Europas und zu einem Vorreiter der Zivilisation. Man stolpert hier an jeder Ecke թԹԶber Geschichten und Geschichte der Menschheit.
Das Wahrzeichen des Landes liegt in der TթԹԶrkei
In der FlթԹ)che gerade mal so groթժԴ wie Brandenburg, liegt Armenien auf der Grenzlinie zu Vorderasien, fթԹԶhlt sich aber seit jeher kulturell, politisch und religiթԹԳs Europa zugehթԹԳrig. Etwa drei Millionen Einwohner hat das Land, die HթԹ)lfte von ihnen lebt in der Hauptstadt Eriwan.
Hohe Berge sind Armeniens Wahrzeichen, etwa der 4090 Meter messende Aragaz, hթԹԳchster Gipfel des Landes, und natթԹԶrlich der legendթԹ)re Ararat aus Noah-Zeiten. Jener mehr als 5100 Meter hohe Berg des schlafenden Riesen, auf dessen HթԹ)ngen nach biblischer Tradition die Arche landete und sich erstmals der Regenbogen zeigte, ist von թԹ)therischer SchթԹԳnheit, die Sicht auf ihn ist spektakulթԹ)r.
WթԹ)re da nicht ein SchթԹԳnheitsfehler, kթԹ)me nicht die Politik ins Spiel. Obgleich der den Armeniern als heilig geltende Ararat nur 20 Kilometer von Eriwan entfernt und gewissermaթժԴen zum Greifen nah liegt, obgleich die Provinz sթԹԶdlich der Hauptstadt sogar Ararat heiթժԴt: Der Berg ist fթԹԶr Armenier unerreichbar.
Er liegt jenseits des armenischen Staatsgebiets im թԹԳstlichsten Zipfel der TթԹԶrkei, in der historisch Westarmenien genannten Region. Mit der TթԹԶrkei jedoch kann Armenien nicht, aus verstթԹ)ndlichen GrթԹԶnden. Das 1915 begonnene Massaker, dem im damaligen Osmanischen Reich mehr als eine Million Armenier zum Opfer fielen, von Ankara noch immer nicht als VթԹԳlkermord anerkannt, wirft bis heute dunkelste Schatten auf die regionalen Beziehungen.
Die Armenier betrachten die TթԹԶrken als ziemlich beste Feinde, die gemeinsame Grenze ist seit Jahren dicht. Armenier kթԹԳnnen den berթԹԶhmten Berg der Genesis, ihr Nationalsymbol, nur aus der Ferne betrachten. Besuchen kթԹԳnnen sie ihn nicht.
Armenien ist ein Grundpfeiler des Christentums
Das hat tragische ZթԹԶge, betrachtet das armenische Volk Noah doch als seinen Patriarchen. Dessen Urururenkel, ein gewisser Hayk, grթԹԶndete ein Reich in der Kaukasusregion, Hayastan թ§Չ-Չ ein Landesname, der in Armenien bis heute ab und an verwendet wird.
Ein Nachfahre Hayks wiederum war Aram, vor knapp 3000 Jahren KթԹԳnig im Reiche Urartu und Namenspatron թ§Չ-ժԷAr(a)meniensթ§Չ-ժ. Offiziell gegrթԹԶndet wurde das Land im Jahr 2492 vor Christus, so die Schulbuchversion im Kaukasus. Eriwan wiederum ging 782 vor Christus an den Start und ist damit թԹ)lter als Rom.
Armenien ist ein Grundpfeiler des Christentums. Schon wenige Jahre nach Jesusթ§Չ-Չ§ Kreuzigung reisten die Apostel BartholomթԹ)us und ThaddթԹ)us in den sթԹԶdlichen Kaukasus auf Predigt. Der Legende nach brachte einer von ihnen die Heilige Lanze als Reliquie nach Armenien, mit der die RթԹԳmer Jesus in den Leib gestochen haben sollen.
Viele Jahrhunderte lang wurde dieser Speer im Felsenkloster Geghard, 40 Kilometer sթԹԶdթԹԳstlich von Eriwan, aufbewahrt թ§Չ-Չ im Kloster zur Heiligen Lanze. Es ist eine der bedeutendsten WallfahrtsstթԹ)tten der armenischen Christen. Heute befindet sich die Reliquie im Museum der Kathedrale von Etschmiadsin.
Die Mission der Apostel war derart erfolgreich, dass Armenien anno 301 als erstes Land die christliche Lehre zur Staatsreligion erhob. Dutzende KlթԹԳster aus christlicher FrթԹԶhzeit und Mittelalter zeugen inmitten spektakulթԹ)r rauer Hochgebirgsszenerie von dieser religionsgeschichtlichen Vorreiterrolle.
Kirchen auf AnhթԹԳhen und in entlegenen Schluchten
In ihrer kubistischen Formsprache erinnern die Kirchen an Architektur aus dem BauklթԹԳtzchenkasten: massive Steinstrukturen aus grauen Quadern, WթԹԶrfeln und Kegeln, zur Ehre Gottes auf die malerischsten AnhթԹԳhen und zur Sicherheit թ§Չ-Չ nicht zuletzt zum Schutz vor den AndersglթԹ)ubigen ringsherum թ§Չ-Չ in entlegenste Schluchten gebaut.
Wie Kloster Tatev in der SթԹԶdostecke des Landes, wo schon die HթԹԳhenzթԹԶge Berg-Karabachs den Horizont bilden. Seit 2010 fթԹԶhrt eine mehr als fթԹԶnf Kilometer lange Seilbahn թԹԶber die Schlucht zum Kloster.
Im Norden wiederum, gen Georgien, liegt die Muttergotteskirche, deren թԹ)lteste Mauern tausend Jahre alt sind und deren blaugrundige Fresken an die Basilika im italienischen Ravenna erinnern.
Die christliche թՉra ist eines von vielen Kapiteln in Armeniens Geschichte, die dank ihrer KomplexitթԹ)t selbst gestandene Geschichtskundler fordern. Neben den UrartթԹ)ern treten Seldschuken, Sassaniden und Safawiden auf, Arsakiden, Assyrer und Araber, Meder und Mongolen, Parther und Perser, Byzantiner, Osmanen und TթԹԶrken թ§Չ-Չ und natթԹԶrlich RթԹԳmer und Russen sowie ein paar versprengte Mazedonier, kurz: ganz groթժԴes Personal.
5500 Jahre alter Schuh in der Areni-HթԹԳhle gefunden
Die Grenzen mթԹ)anderten mal hierhin, mal dorthin. Das Land dient seit der Steinzeit als Spielball der Geschichte. Deren TrթԹԶmmer und Relikte stecken թԹԶberall im Boden, in Ruinen und Grotten.
So begann vor zehn Jahren die wissenschaftliche ErschlieթժԴung einiger SteinzeithթԹԳhlen in der NթԹ)he des Dorfs Areni, das bis dahin fթԹԶr seine Weinbaukultur und seine alkoholseligen Volksfeste berթԹԶhmt war. Die bekannteste, թ§Չ-ժԷAreni 1թ§Չ-ժ (so der offizielle Name), ist eine tief in die Berge reichende HթԹԳhlensiedlung, deren AusmaթժԴe bis heute nicht geklթԹ)rt sind թ§Չ-Չ ein wahrer Brunnen in die Vergangenheit.
Hier in Areni fand man das, was heute als թԹ)ltester Schuh der Welt berթԹԶhmt ist. Boris Gasparyan, Wissenschaftler am ArchթԹ)ologischen und Ethnografischen Institut in Eriwan, gefթԹ)llt der historische Schlappen-Superlativ zwar nicht. Der թԹ)lteste Schuh sei vermutlich aus Lateinamerika, sagt er mթԹԶrrisch, andererseits թ§Չ-ժԷist der eigentlich gar kein richtiger Schuh, sondern nur eine Sandaleթ§Չ-ժ. Egal.
Das Teil aus Areni ist ein aus einem einzigen StթԹԶck Rindsleder genթԹ)hter Mokassin, ungefթԹ)hr SchuhgrթԹԳթժԴe 37, rund 5500 Jahre alt թ§Չ-Չ und damit ein halbes Jahrtausend թԹ)lter als die թԹ)ltesten Strukturen von Stonehenge, թԹ)lter als die թԹ)lteste AltթԹ)gyptendynastie.
Selbst թՉtzi aus den Alpen, dessen Mumie samt Schuhwerk 1991 aus dem Gletscher auftauchte, ist ein paar Jahrhunderte jթԹԶnger. թ§Չ-ժԷDie Areni-HթԹԳhle ist ein Schatzթ§Չ-ժ, sagt Gasparyan. թ§Չ-ժԷWer weiթժԴ, was wir morgen finden werden?թ§Չ-ժ
Bereits freigelegt sind jahrtausendealte WeinkթԹԶbel, die im Boden der Areni-HթԹԳhle stecken. Man mթԹԶsste Ur-Armenier die ersten Weinbauern der Menschheit nennen, wթԹԶrden die Nachbarn in Georgien, wo jթԹԶngst 8000 Jahre alte Weinreste auftauchten, das nicht auch von sich behaupten.
Ob es sich bei armenischem Wein, wie am Ararat gern gejubelt wird, um einen delikaten Trunk handelt, ist, freundlich ausgedrթԹԶckt, umstritten. Aber egal: Alles deutet darauf hin, dass Noah und seine AngehթԹԳrigen, kaum dem Rettungsschiff entstiegen, als erstes Weinreben pflanzten թ§Չ-Չ so wie es die Bibel in Kapitel neun der Genesis beschreibt.
Hotels und Gastronomie auch in Eriwan eher rustikal
Armenien mag uralt und interessant sein; von internationalen GթԹ)sten wird es bislang meist թԹԶbersehen. Im dritten Quartal 2017 kamen beispielsweise nur 83.000 AuslթԹ)nder ins Land, weniger als 1000 am Tag.
Immerhin sieht Sisak Mkhitaryan, Chef des Eriwan-BթԹԶros des von den USA finanzierten Entwicklungsprogramms My Armenia, eine erste Trendwende: Man habe inzwischen թ§Չ-ժԷ24 Prozent mehr Besucher als im Vorjahrթ§Չ-ժ. Die grթԹԳթժԴte auslթԹ)ndische Besucherschar stellen Russen, wթԹ)hrend Deutsche Rang zwei belegen.
Hotelopulenz, Wellnesstempel und KթԹԶchenwunder sucht man auթժԴerhalb Eriwans allerdings vergeblich, und auch in der Hauptstadt geht es oft rustikal zu. թ§Չ-ժԷDas Luxussegment ist nicht entwickeltթ§Չ-ժ, sagt die 30-jթԹ)hrige Susanna Safaryan, Touristikexpertin bei My Armenia, doch man arbeite dran. WթԹ)hrend die armenische BevթԹԳlkerung թ§Չ-Չ vor allem in lթԹ)ndlichen, strukturschwachen Gegenden թ§Չ-Չ zu Recht fթԹԶr ihre Gastfreundschaft gerթԹԶhmt wird, ist der Service in Hotellerie und Gastronomie oft auf einem Niveau fern jeder Ambition.
թ§Չ-ժԷBeim Tourismus sind wir noch weit unter unseren MթԹԳglichkeitenթ§Չ-ժ, sagt Lilit Asatryan aus Eriwan, die sich im Norden des Landes neben der Muttergotteskirche von Akhtala fթԹԶr die Armenian Young Womenթ§Չ-Չ§s Association (AYWA) einsetzt թ§Չ-Չ eine Hilfsorganisation, die erstens junge mittellose Frauen und zweitens das ganze Land auf Trab zu bringen versucht. թ§Չ-ժԷEs gibt viel Potenzialթ§Չ-ժ, sagt sie, aber es mangele an Infrastruktur, an Geld und eigentlich sonst auch an allem.
Erdbeben, Hyperinflation und Krieg
Die wirtschaftliche Misere ist auch Folge der verheerenden jթԹԶngeren Geschichte. Ende 1988 zerstթԹԳrte ein schweres Erdbeben mit Zehntausenden Toten ganze Regionen und Industrien sowie Gyumri, die zweitgrթԹԳթժԴte Stadt. թ§Չ-ժԷDie HթԹ)lfte des Landes war wegթ§Չ-ժ, sagt Aelita Chobanyan, eine ReisefթԹԶhrerin in Eriwan. թ§Չ-ժԷWir nennen es die dunklen Jahre.թ§Չ-ժ
In den frթԹԶhen 1990er-Jahren, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der erneuten UnabhթԹ)ngigkeit Armeniens, kollabierte die Wirtschaft, dann kam die Hyperinflation und radierte WթԹ)hrung und Ersparnisse weg. Wenig spթԹ)ter dann der Krieg um die Kaukasusregion Berg-Karabach, der zur SchlieթժԴung der Grenzen mit Aserbaidschan und der TթԹԶrkei fթԹԶhrte, das Land isolierte und den Handel zum Erliegen brachte.
Wer konnte թ§Չ-Չ und wer etwas konnte թ§Չ-Չ wanderte aus, nach Russland, nach Amerika, Hauptsache weg. In Armenien leben heute ein Sechstel weniger Menschen als 1990. Die Diaspora der Armenier wird weltweit auf acht Millionen geschթԹ)tzt, darunter schillernde Namen wie Agassi, Aznavour und Kardashian.
Die KթԹԶche ist kթԹԳstlich, bio und aus der Region
Neben dem betթԹԳrenden Weltklasseblick auf den Ararat und dem unթԹԶberhթԹԳrbaren Echo der Geschichte gibt es einen weiteren Grund, nach Armenien aufzubrechen: Die KթԹԶche ist von fabelhafter BodenstթԹ)ndigkeit. Die an StraթժԴenstթԹ)nden feilgebotenen Zutaten sind kernig, kթԹԳstlich, gesund, bio und durchweg aus der Region.
Pfirsiche und Pflaumen, GranatթԹ)pfel und Quitten, NթԹԶsse und Mandeln, Trauben und KrթԹ)uter kommen ihren paradiesischen Idealtypen nahe. Die KթԹԶrbisse sind eine Pracht, SchnթԹ)pse und Wein haben Hausmacher-QualitթԹ)t, ungesթԹ)uerte Lavash-Fladenbrote sind duftig frisch, das gegrillte Kaukasusschwein ist eine Offenbarung.
Die symboltrթԹ)chtigste Speise von allen ist jedoch die Aprikose, die in den TթԹ)lern des Landes golden an den BթԹ)umen hթԹ)ngt, schթԹԳn und kթԹԳstlich wie nirgends sonst. Ihr botanischer Name lautet prunus armeniaca, armenische Pflaume. Noch so ein Beitrag Armeniens zur Zivilisation.
Tipps und Informationen
Anreise: Es gibt eine Direktverbindung aus Deutschland: Germania fliegt einmal wթԹԳchentlich nonstop von Berlin nach Eriwan. Eine Umsteigeverbindung bietet zum Beispiel die russische Aeroflot via Moskau-Scheremetjewo, kein Transitvisum erforderlich. Man kann auch mit Austrian Airlines թԹԶber Wien oder mit LOT Polish Airlines թԹԶber Warschau fliegen. Bei der Einreise am Flughafen Eriwan erhalten EU-BթԹԶrger unabhթԹ)ngig vom Reiseanlass ein kostenloses Visum fթԹԶr sechs Monate.
Buchung: Der Veranstalter Diamir Erlebnisreisen ist Spezialist fթԹԶr Kaukasustouren. Die zwթԹԳlftթԹ)gige Kultur- und Naturrundreise թ§Չ-ժԷKlթԹԳster, Kirchen, Kreuzsteinkultթ§Չ-ժ kostet beispielsweise ab 1850 Euro pro Person im Doppelzimmer inklusive Flug ab/bis Frankfurt, deutschsprachiger Tourenleitung und vieler Mahlzeiten (diamir.de). Gebeco hat eine neuntթԹ)gige Studienreise inklusive FlթԹԶgen im Programm, ab 1295 Euro (gebeco.de). Weitere Anbieter sind beispielsweise Go East, SKR Reisen, Dertour, Dr. Tigges Studienreisen und Marco Polo Reisen.
Unterkunft: In Eriwan sind viele internationale Hotelgruppen vertreten, etwa mit dem թ§Չ-ժԷArmenia Marriott Hotel Yerevanթ§Չ-ժ (Doppelzimmer ab 92 Euro, marriott.com) oder dem թ§Չ-ժԷHyatt Place Yerevanթ§Չ-ժ (Doppelzimmer ab 94 Euro, yerevan.place.hyatt.com/en/hotel/home.html).
Weitere Infos: Ein informativer Reisebegleiter ist Gisela Ramming-Leupolds bebilderte EinfթԹԶhrung in die Historie, Religionsgeschichte und Kultur: թ§Չ-ժԷArmenien թ§Չ-Չ Land am Araratթ§Չ-ժ (Mitteldeutscher Verlag, 280 Seiten, 24,95 Euro).
Hilfreich sind die Websites armeniaguide.com, armenia.travel und armeniapedia.org.
Tipp der Redaktion: Neben Armenisch ist Russisch Umgangssprache im Land թ§Չ-Չ es schadet also nicht, ein paar Grundbegriffe zu lernen. In der Hauptstadt Eriwan und unter jթԹԶngeren Leuten kommt man aber auch mit Englisch gut durch.
Die Recherche wurde unterstթԹԶtzt von Aeroflot, Diamir Erlebnisreisen und My Armenia. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen UnabhթԹ)ngigkeit finden Sie unter axelspringer.de/unabhaengigkeit.
welt.de
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