Polit-FlթƒԹԶchtling Sevan Nisanyan, Der Mann, der Erdogans HթƒԹ)scher narrte

GREECE, Samos. Sevan Nisanyan, 61, an Armenian intellectual from Turkey poses in Samos Island. 2017

Jahrelang saթƒժԴ Erdogan-Kritiker Sevan Nisanyan im tթƒԹԶrkischen GefթƒԹ)ngnis. Dann gelang die Flucht – per Jacht. FթƒԹԶr den allmթƒԹ)chtigen Sicherheitsapparat des PrթƒԹ)sidenten eine Blamage.

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Von Maximilian Popp

Ein einziger Satz genթƒԹԶgte, um die TթƒԹԶrkei in Aufregung zu versetzen: “Der Vogel ist davongeflogen”, schrieb der tթƒԹԶrkische Autor und Architekt Sevan Nisanyan am 14. Juli auf Twitter. Seine 50.000 Follower wussten sofort, was gemeint war: Nisanyan, ein Regimekritiker, der seit Januar 2014 in der TթƒԹԶrkei in Haft saթƒժԴ, war der Ausbruch aus dem GefթƒԹ)ngnis gelungen.

Die Nachricht verbreitete sich innerhalb von Stunden im Land. PrթƒԹ)sident Recep Tayyip Erdogan hat in den vergangenen Jahren mehrere zehntausend Oppositionelle festnehmen lassen. Doch selten zuvor war einem Gefangenen die Flucht geglթƒԹԶckt.

Nisanyan hat den Staat vorgefթƒԹԶhrt, dabei gilt der tթƒԹԶrkische Sicherheitsapparat als allmթƒԹ)chtig. Nun wurde er von einem einzelnen Mann թƒԹԶberlistet. Nisanyans Flucht verlief derart simpel, dass sie fթƒԹԶr Erdogan vor allem eins ist – eine ungeheuerliche Provokation.

Sein gesamtes Berufsleben lang hat sich Nisanyan, ein klein gewachsener Mann mit Halbglatze, 60 Jahre alt, mit den MթƒԹ)chtigen in der TթƒԹԶrkei angelegt. Er ist in seinen BթƒԹԶchern und AufsթƒԹ)tzen թƒԹԶber RepublikgrթƒԹԶnder Kemal AtatթƒԹԶrk hergezogen, թƒԹԶber den Islam

FթƒԹԶr viele TթƒԹԶrken ist Nisanyan ein Vordenker. In Sirince, seinem Heimatdorf nahe der թƒՉ€žgթƒԹ)iskթƒԹԶste, hat er gemeinsam mit einem tթƒԹԶrkischen Mathematiker eine Sommerakademie fթƒԹԶr SchթƒԹԶler und Studenten gegrթƒԹԶndet, die als eine der besten Lehranstalten in der TթƒԹԶrkei gilt. Dem Staat hingegen gilt er als Querulant, der die bestehende Ordnung stթƒԹԳrt.

Als Nisanyan 2012 in einer Kolumne թƒԹԶber den Propheten Mohammed spottete, erթƒԹԳffnete die Justiz ein Blasphemie-Verfahren. Der Prozess scheiterte an einem Formfehler. Wenige Monate spթƒԹ)ter wurde Nisanyan erneut vor Gericht gestellt. Er soll in Sirince Bauvorschriften missachtet haben. Der Richter verurteilte ihn fթƒԹԶr ein Delikt, das in der TթƒԹԶrkei fթƒԹԶr gewթƒԹԳhnlich als Bagatelle behandelt wird, zu 16 Jahren Freiheitsstrafe. “Jeder weiթƒժԴ, dass dieser Fall nichts mit Baurecht zu tun hat, sondern mit Nisanyans Arbeit als Autor”, heiթƒժԴt es in einer Petition.

Nisanyan selbst glaubt, dass die Strafe gegen ihn auch deshalb so hoch ausgefallen ist, weil er Armenier ist. “Der tթƒԹԶrkische Staat duldet Minderheiten nur dann, wenn sie unsichtbar sind, wenn sie sich vollstթƒԹ)ndig assimilieren.” Rassismus und Chauvinismus zթƒԹԳgen sich durch die tթƒԹԶrkische Geschichte. “Das hat nicht mit Erdogan begonnen. Und wird nicht mit Erdogan enden”, sagt er. FթƒԹԶr Nisanyan sind nicht einzelne Politiker das Problem, sondern die Strukturen des tթƒԹԶrkischen Staats: “Der Staat in der TթƒԹԶrkei ist seit jeher allmթƒԹ)chtig. Niemand darf seine Vertreter ungestraft kritisieren, niemand kann sie kontrollieren.”

Die ersten Haftjahre verbrachte Nisanyan in wechselnden HochsicherheitsgefթƒԹ)ngnissen. Er teilte sich Zellen mit bis zu 120 Menschen, mit MթƒԹԳrdern und Vergewaltigern. Schon damals, erzթƒԹ)hlt er, sei in ihm der Entschluss gereift zu fliehen. Als er im FrթƒԹԶhjahr in den offenen Vollzug verlegt wurde, sah er seine Chance gekommen.

Nisanyan nutzte den Freigang, der ihm laut Gesetz einmal im Vierteljahr zustand, um seinen Bewachern zu entkommen. Verwandte schmuggelten ihn im Auto an die թƒՉ€žgթƒԹ)iskթƒԹԶste, wo ein Freund mit einer Jacht wartete. Nisanyan war nervթƒԹԳs, als er das Boot betrat. Er wusste, dass er den Rest seines Lebens im Knast verbringen wթƒԹԶrde, sollten ihn die Polizisten bei der Flucht fassen.

Zwei MթƒԹԳglichkeiten: Knast oder Flucht

Die TթƒԹԶrkei hat im Zuge des FlթƒԹԶchtlingsabkommens mit der EU die Kontrollen auf dem Seeweg nach Griechenland verschթƒԹ)rft. Doch die GrenzschթƒԹԶtzer achten vor allem auf Schlauchboote. Nisanyan setzte in seiner Jacht unbehelligt nach Griechenland թƒԹԶber. “Ich konnte selbst nicht glauben, wie einfach ich dem tթƒԹԶrkischen Staat entwischen konnte”, sagt er.

Einen Monat nach seiner Flucht sitzt Nisanyan in der Ferienwohnung eines Bekannten auf der griechischen Insel Samos, wo er vorerst untergekommen ist. Er hat in Griechenland Asyl beantragt – wie so viele seiner Landsleute.

Nisanyan auf der griechischen Insel Samos

Emin Ozmen / MAGNUM PHOTOS/ DER SPIEGEL

Nisanyan auf der griechischen Insel Samos

Seit dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli 2016 hat ein Massenexodus aus der TթƒԹԶrkei eingesetzt. Es sind vor allem AngehթƒԹԳrige der Mittel- und Oberschicht, Unternehmer, թƒՉ€žrzte, Professoren, die der TթƒԹԶrkei den RթƒԹԶcken kehren, Menschen wie Nisanyan. “Wenn du dich Erdogan nicht unterwirfst, hast du als Oppositioneller in der TթƒԹԶrkei zwei Alternativen”, sagt Nisanyan. “Entweder du gehst ins GefթƒԹ)ngnis, oder du fliehst.”

Griechenland bietet AuslթƒԹ)ndern, die Immobilien fթƒԹԶr mehr als 250.000 Euro kaufen, fթƒԹԶr fթƒԹԶnf Jahre eine Aufenthaltsgenehmigung. Mehrere Hundert TթƒԹԶrken haben allein in diesem Jahr von dem Programm Gebrauch gemacht. In Griechenland ist eine neue tթƒԹԶrkische Diaspora entstanden.

Im Exil zwischen Erleichterung und Heimweh

Nisanyan ist erleichtert darթƒԹԶber, der Haft entronnen zu sein. Doch er leidet unter seinem Leben im Exil. In der TթƒԹԶrkei habe er sich թƒԹԶber viele Jahre hinweg einen Ruf als Autor und Architekt aufgebaut. Nun werde er darauf reduziert, FlթƒԹԶchtling zu sein.

Die meisten tթƒԹԶrkischen Exilanten, erzթƒԹ)hlt er, hթƒԹ)tten sich auf der Insel Lesbos oder in Athen niedergelassen, wo bereits tթƒԹԶrkische Gemeinden bestehen, oder seien gleich weiter nach Deutschland gezogen. Er selbst ist in Samos geblieben, um seiner alten Heimat so nah wie mթƒԹԳglich zu sein.
Nisanyan will an einem Lexikon թƒԹԶber tթƒԹԶrkische FremdwթƒԹԳrter weiterarbeiten und ein Buch թƒԹԶber die Bedeutung von Religion in der Moderne schreiben. Irgendwann, so sagt er, wenn Erdogan einmal nicht mehr an der Macht ist, mթƒԹԳchte er in die TթƒԹԶrkei zurթƒԹԶckkehren – und das Land neu aufbauen.

spiegel.de

http://www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-erdogan-kritiker-sevan-nisanyan-gelingt-die-flucht-nach-griechenland-a-1165095.html

 

 

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